Nackt unter Wölfen
wartete vorsichtig, bis sich die zwei üblen Schläger ausgelacht und an dem Spaß genug hatten. Dann nahm er die SS-Mütze vom Kopf und legte sie auf den Tisch. Die Geste, mit der Schüpp dies tat, war so unmissverständlich, dass sie Brauer nicht entging. Er zog anerkennend die Stirn in Falten und sagte zu Meisgeier:
»Guck nur, den kannste sogar beleidigen.«
In Schüpp zuckte eine Entgegnung, doch unterließ er sie.
Hätte er durch eine entsprechende Erwiderung die Beleidigung bestätigt, dann wäre der Spaß umgeschlagen. Erfahrungsgemäß wusste er, wie unberechenbar die Kerle waren, gleich Raubtieren im Käfig, deren verspielte Pranken plötzlich zuschlagen konnten. Darum dirigierte Schüpp die Situation geschickt um, ging zum Radio und begann, an ihm zu hantieren.
Hier, in seiner sachlichen Beschäftigung, war er immun, und mit Genugtuung stellte er fest, dass das Lachen der beiden verebbte. Meisgeier warf ihm das wertlos gewordene Requisit, die Häftlingsmütze, zu, stülpte sich seine eigene auf und verließ das Zimmer: {Schüpp atmete auf:} einen war er los.
Den Schaden am Apparat hatte er bereits entdeckt, es war ein Wackelkontakt, den er mit ein paar Handgriffen hätte in Ordnung bringen können. Aber er hütete sich, das zu tun, denn es kam ihm darauf an, auch Brauer noch loszuwerden. Der steckte seinen Kopf in den Kasten und wollte wissen,was eigentlich kaputt sei. Mehr als einmal hatte Schüpp seine fast immer erfolgreiche Methode angewandt, einen aufdringlichen SS-Mann fortzugraulen. {So beliebt er als Fachmann war, so gefürchtet waren seine fachtheoretischen Referate.} Je unwissender die SS-Leute in fachtechnischen Dingen waren, desto mehr gaben sie sich den Anschein vom Gegenteil, um sich vor einem {schäbigen} Häftling keine Blöße geben zu müssen. Das nutzte Schüpp aus, und so gab er Brauer auf dessen Frage eine ausschweifende Darstellung von der Geschichte des Radios. Er kam von Faraday auf Maxwell zu sprechen, ging von Heinrich Hertz zu Marconi über, garnierte sein Referat mit technischen Floskeln, schlug dem Unterscharführer elektrische Wellen um die Ohren, verstopfte dessen Gehirnkasten mit Kondensatoren, Spulen, Röhren, umnebelte ihn mit Schwingungskreisen und magnetischen Feldern, mit Induktionen, Hoch- und Niederfrequenzen, bis das Mühlrad kreiste.
Brauer knurrte ungeduldig:
»Was ist nun aber an der Klamotte kaputt?«
Schüpp machte sein unschuldigstes Gesicht.
»Das müssen wir erst einmal feststellen.«
Brauer hatte genug. Er drückte sich die Mütze fester und brüllte:
»Wenn du in einer Viertelstunde nicht fertig bist, dann mache ich dich zu Mus. Hast du es gehört, du Radiot?«
Wütend knallte er die Tür hinter sich zu.
Der Spitzbube in Schüpp feixte sich eins. Schnell brachte er den Kontakt in Ordnung und stellte den Apparat auf Empfang. Ganz leise und fern hörte er die vier bekannten Schläge der Kesselpauke. Das war der Engländer! Und dann, ebenso leise und fern, in deutscher Sprache mit englischem Akzent:
»Von der unteren Sieg bis zur Rheinschleife nördlich Koblenz tobt die Schlacht.
Aus dem Brückenkopf Oppenheim sind amerikanischePanzerköpfe nach Osten durchgebrochen. Ihre Spitzen haben den Main bei Hanau und Aschaffenburg erreicht. Zwischen den nördlichen Ausläufern des Odenwaldes und dem Rhein sind heftige Bewegungskämpfe im Gange …«
Schüpp kroch fast in den Lautsprecher hinein. Jedes Wort brannte er sich ins Gehirn, um nichts zu vergessen.
Als Brauer zurückkam, hing Schüpp noch immer am Lautsprecher, er verwischte aber sofort den Empfang und gab volle Lautstärke, so dass der Apparat aufkreischte. Begeistert stürzte Brauer herzu:
»Mensch! Radiot! Wie hast du das fertiggebracht? Ich habe selber schon dran herumgemurkst, aber bei mir wollte es nicht klappen. Du bist doch ein …«
Mehr Lob war einem Häftling nicht zuträglich, Brauer revidierte deshalb seine Anerkennung mit einem groben:
»Ach, leck mich am Arsch, die Hauptsache, der Kasten ist wieder in Ordnung.«
Schüpp packte sein Werkzeug ein. –
Kurze Zeit darauf stand er mit Krämer in dessen Raum vor der Landkarte, die sich Krämer an die Wand geheftet hatte. Von Remagen waren sie in wenigen Tagen schon bis Oppenheim durchgestoßen. Von hier aus ging es in Richtung Frankfurt, und nördlich Koblenz zeigte sich bereits die Stoßrichtung nach Kassel an. Ohne Zweifel, es ging nach Thüringen hinein! –
Die beiden Männer sahen sich wortlos an, dachten beide das
Weitere Kostenlose Bücher