Nackt
du jetzt denkst», sagte Uta zu mir. «Aber du hast unrecht. Ich bin zwar abends geboren, aber das war nicht gestern Abend. Jetzt glaubt er, er wäre der Schärfste. Keinen Schimmer hat er. Ich wollte ihm das Geld nämlich sowieso geben, als Abfindung, sobald ich ihn entlasse. Gottverdammter Speichellecker. Verspricht, mir einen Swimmingpool zu graben, ha! Ich hab ihm sowieso sehr viel weniger bezahlt als dir, aber was soll’s, ich glaub, ich hab mein Geld nicht an ihn verschwendet. Fünf Dollar, dass er zur Bank rennt und dann immer weiterrennt. Was meinst du, fünf Dollar, topp, die Wette gilt, scharfer Typ?»
Ich hatte keine Lust, mein Geld wegzuschmeißen. Ich wusste, dass sie recht hatte.
Utas Freundin, Polly Briggs, erschien am nächsten Morgen, fing aber erst nach dem Spiel der Chicago Cubs mit der Arbeit an. Sie war jemand, der einem auf die Schulter klopft, unverblümt und laut, mit kurzen Löckchen und Sommersprossen auf der Nase wie aufgesprüht. Briggs – «Sag noch einmal Polly zu mir und du darfst dir Erbrochenes von den Schuhen wischen. Kann den Namen nicht ausstehen. Konnte ich noch nie.» – verbrachte die meiste Zeit des Jahres in Nord-Michigan, wo sie an einer Mittelschule Leibesübungen unterrichtete. In den Sommerferien kam sie oft nach Chicago, um sich Baseball-Spiele anzusehen und Uta bei ihren jeweiligen kleinen Projekten zu helfen. Es kam mir seltsam vor, dass sie befreundet waren, zu sehr unterschieden sie sich in Alter, Temperament und Geschmack. Uta sah ja schon nicht ungesund aus, aber Briggs wirkte mit ihrer rosigen Gesichtsfarbe und der robusten Statur, als hätte sie vor Sonnenaufgang Heuballen auf einen Pferdewagen geschmissen. Sie war ein zutraulicher Trampel, während Uta viel beherrschter war und sich gern für unfehlbar hielt, besonders in Anwesenheit ihrer Untergebenen.
Als Briggs sich darüber beschwerte, dass sie für das Spiel am Nachmittag schlechte Plätze bekommen habe, vermerkte Uta, alle guten Stellen hätten sich bereits die Juden gesichert, die auch die Hot-Dog-Konzessionen und den Souvenirhandel kontrollierten. «Die Parkplätze, die Spielergehälter, sogar die Herstellung von Schlägern und Handschuhen, alles wird von den Juden kontrolliert. Durch die Juden sind die Eintrittspreise schier unerschwinglich geworden. Hier bin ich, zwei Straßen vom Stadion entfernt, und sie treiben meine Vermögenssteuer in schwindelerregende Höhen. Sie wollen alles so sehr ver …»
«Halt’s Maul», sagte Briggs. «Du meckerst über die Juden, seitdem du dieses Drecksland verlassen hast. Schlag mal ein Geschichtsbuch für die dritte Klasse auf; vielleicht lernst du dann was. Außerdem: So schlimm fandest du die Juden gar nicht, als du hinter Brandy Fleischman her warst.»
Uta wischte sich wie Tausende von Malen vorher die Fransen aus der Stirn, aber diesmal war die Geste offen nervös. Sie zog sich die Haare zurück über die Augen, als wolle sie sich verstecken, und maulte nach längerer Pause: «Brandy war nur Halb jude.»
«Ah ja? Welche Hälfte? Oben oder unten?» Briggs zwinkerte mir zu, während Uta beleidigt zappelte und ihr Gesicht sich rötete. Dupont und ich hatten oft Vermutungen über ihr Geschlechtsleben angestellt. Er hatte darauf bestanden, dass sie alle schwarzen Männer wollte, die sie kriegen konnte, während es mir schwerfiel, sie mir anders als mit einem jener pensionierten Nazi-Generäle vorzustellen, die sich in den Urwäldern von Argentinien verkrochen haben. Wir hatten uns beide gewaltig verschätzt.
«Sag mal, Uta, was ist eigentlich aus der kleinen Wie-hieß-sie-noch Collins geworden, die immer mit uns in die Dünen gegangen ist? Du weißt schon, welche ich meine. Sie hat FeuerversicherungsPolicen oder sonst was Blödes verkauft; Tontaubenschießen fand sie auch toll.» Briggs klatschte das Polyurethan mit der Finesse eines Kindes im Krabbelalter gegen die Wand; ich folgte ihr und versuchte die Kleckser zu glätten, bevor sie trockneten. Nach ein paar Tagen wurde Uta etwas lockerer und gestattete sich, die Gesellschaft ihrer Freundin zu genießen. Ihr freundschaftliches Gezänk nahm einen harmlosen und behaglichen Ton an, und je nach Interesse hörte ich hin oder weg. Eines Nachmittags diskutierten sie die Vorzüge einer an Ballaststoffen reichen Diät, als ich aus dem Fenster sah und sicher war, Dupont an der Ecke vor dem kleinen Lebensmittelladen stehen zu sehen. Eine Frau kam, mit zwei großen Papiertüten beladen, aus dem Geschäft. Dupont
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