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Nackt

Nackt

Titel: Nackt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Sedaris
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einen wildfremden Mann zu heiraten, unbesehen. «Hattest du einen Plan B, falls er missgestaltet war?», fragten wir. «Als ihr euch dann kennengelernt habt, hast du ihn geküsst oder ihm nur die Hand gegeben? Woher wusstest du, dass ihr nicht verwandt wart? Bist du vorher auch mit anderen Typen ausgegangen?»
    Keine unserer Fragen wurde beantwortet. Was für uns Neuigkeitswert hatte, war für sie nur ein weiteres profanes Detail aus ihrem Leben. Ihr Ehemann, der Mann, den wir Papou nannten, war genauso verdrießlich gewesen wie sie. Wir mussten ihre Fotografen auf den Kopf stellen, wenn wir sie bei einem Lächeln erwischen wollten. Dass sie nur ein Kind hatten, sagte uns alles über ihr Geschlechtsleben, was wir wissen mussten. Er arbeitete, sie arbeitete, ihr Kind arbeitete; mehr hatten sie nie vom Leben erwartet. Der Papou war gestorben, als ich sechs Jahre alt war. Er war nachts noch spät im Zeitungsladen gewesen, als Eindringlinge ihm ein Bleirohr über den Kopf hieben, wodurch in seinem Kopf eine Ader platzte. Er wurde ins Krankenhaus geschafft und starb am 25. Dezember.
    «Hast du trotzdem die Geschenke ausgepackt?», fragten wir. «Als er starb, hat er sich da in die Hose gekackt? Haben sich die Diebe auf das Geld konzentriert, oder haben sie, wo sie sowieso gerade da waren, auch Zeitschriften und Schokoriegel mitgenommen? Hat man sie gekriegt? Mussten sie auf den elektrischen Stuhl? Als sie hingerichtet wurden, haben sie sich da in die Hose gekackt?»
    «Er jetzt ist bei Jesus», sagte die Ya Ya. Ende der Geschichte. Wir fragten meinen Vater. Er sagte nur: «Er war mein Vater und ich habe ihn geliebt.»
    Das war nicht die Information, die wir suchten, aber bis heute ist das seine einzige Antwort. Ist es Loyalität, was ihn davon abhält, Geheimnisse über die Toten auszuplaudern, oder gibt es einfach nichts zu berichten? Wie kann man so viele Jahre bei jemandem am Fußende schlafen und sich an kein einziges Detail erinnern?
    «Natürlich liebt ihr die Ya Ya», sagte er. «Sie ist eure Großmutter.» Er stellte das als natürliche Folge dar, was unserer Ansicht nach kaum der Fall war. Man konnte einen Blutsverwandten haben, aber das bedeutete nicht, dass man ihn lieben musste. Unsere Zeitschriftenartikel und Nachmittags-Talkshows lehrten uns, dass die Menschen sich ihre Liebe vom einen Tag auf den nächsten ständig neu verdienen mussten. Die Familie meines Vaters verließ sich auf ein Regelwerk, welches nicht mehr in Kraft war. Es genügte nicht, wenn man seinen Kindern ein Elternhaus mit allem Drum und Dran bot und ihnen alles verfügbare Kleingeld aushändigte; man musste, während man das tat, auch noch Spaß machen. Für die Ya Ya war es zu spät, aber mein Vater, der in den folgenden Jahren immer nervöser wurde, konnte es noch schaffen. Er beobachtete meine Mutter, wie sie im Schlafzimmer Hof hielt, und fragte sich, wie sie das machte. Gelegentlich schnauzte sie uns an, aber wenn sich der Qualm verzogen hatte, sammelten wir uns wieder zu ihren Füßen und kämpften um ihre Aufmerksamkeit.
    Ich war in meinem zweiten Jahr auf dem College, als ich erfuhr, dass die Ya Ya gestorben war. Meine Mutter rief an, um es mir zu sagen, ich hatte mir den Hörer unters Kinn geklemmt, einen Joint in der einen, ein Bier in der anderen Hand, und sah auf die Uhr: 11:22 h. Mein Zimmergenosse hörte zu, und weil ich ihn als sensibles und komplexes Menschenwesen beeindrucken wollte, warf ich mich aufs Bett und machte das Beste daraus. «Das kann doch nicht wahr sein», plärrte ich. «Das ist doch nie und nimmer wahahaha-hahr.» Meine Schluchzer klangen, als läse ich sie von einem Blatt Papier ab. «A-ha-ha-ha-ha-ha. A-hu-hu-ha-haha-ha-ha.» Ich hatte gerade Eine Weihnachtserinnerung von Truman Capote gelesen und versuchte, sie als meine eigene auszugeben. «Mir ist, als wäre ein Stück von meiner Seele abgerissen worden und nun bin ich ein Drachen ohne Schnur», sagte ich und rieb mir die Augen, um etwas Tränenähnliches zu erzeugen. «Heute Nachmittag werde ich über den Campus gehen und den Himmel absuchen; bestimmt finde ich zwei herzförmige Wolken.»
    «Ich hab genau das Richtige für dich, Kumpel», sagte mein Zimmergenosse. «Genau das Richtige für dich und mich, weil, ich weiß nicht, ob ich dir das gesagt habe, meine Oma ebenfalls vor ein paar Monaten gestorben ist. Mein Bruder hatte sie besucht, um seine Klamotten zu waschen, und da lag sie, mausetot vor ihrem Trophäenschrank. Herb, so was, mein Freund. Da

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