Nadel, Faden, Hackebeil
musste.
»Also«, stotterte Seifferheld, »ich finde, wir warten einfach mal ab.«
Marcella stand energisch auf. »Mein Kind ist verschwunden, und ihr wartet einfach ab?« Sie stampfte südländisch feurig mit dem Fuß auf. Onis wurde das alles zu viel – er schnappte sich seinen rosa Teddy und lief in den Flur.
Marcella schnappte sich das Küchentelefon. »Wie lautet eure Kurzwahl für den Notruf?«, rief sie.
»Wozu denn der Notruf?«, fragte Karina plötzlich in Seifferhelds Rücken. »Ciao Mama, hi Papa.« Unbekümmert warf sie ihren Umhängebeutel auf einen Küchenstuhl.
Seifferheld seufzte und hielt sich die Brust mit dem wild pochenden Herzen. Dieses plötzliche unbemerkte Auftauchen musste ein Ende haben. Er würde gleich morgen an der Haustür eine Lichtschranke installieren, die einen Gong aktivierte!
Mozes kam in die Küche gelaufen, Onis ihm auf den Fersen. »Wir waren im Zoo«, erzählte er aufgeregt. »Ich habe eine Spinne gestreichelt. Und ich habe dieses T-Shirt bekommen. Und wenn ich groß bin, werde ich Insektenpfleger. Und jetzt hab’ ich Hunger!«
Karina gab ihm einen Kuss auf den Afro. »Ja, nicht wahr, wir hatten es schön!«
»Cara Karina«, rief Marcella und riss ihre Tochter in die Arme wie den verlorenen Sohn. Man merkte ihr an, dass sie jetzt gern ein Kalb geschlachtet hätte.
Karina sah Seifferheld an. »Was ist hier eigentlich los? Familientreffen? Und, großer Gott, Onkel Siggi, was ist mit dir passiert? Hast du dich einer Planierraupe in den Weg gestellt?«
Seifferheld tastete sein Gesicht ab. Es schien noch weiter angeschwollen zu sein.
Irmi schenkte reihum Kaffee ein. »Kind, wir haben uns Sorgen gemacht. Nächstes Mal rufst du gefälligst an, wenn du mit Mozes einen Tagesausflug machst.«
»Mein Akku war leer«, meinte Karina, nicht entschuldigend, nur erklärend.
Fela, der Olaf ins Bett von Susanne verfrachtet hatte, tauchte leicht unschlüssig, dafür laut rülpsend im Türrahmen auf. »Hast du deswegen nicht auf meine Textnachrichten geantwortet?«, fragte er vorwurfsvoll. Er schien wieder weitgehend nüchtern.
»Tut mir echt leid«, sagte Karina, und es klang so, als meinte sie sehr viel mehr als nur die nicht beantworteten SMS .
Fela nahm sie in den Arm. »Hauptsache, jetzt ist alles wieder gut.« Sie küssten sich.
Marcella schlug sich die Hand vors Gesicht.
»Möchtest du uns den jungen Mann nicht vorstellen?«, bat Karinas Vater, mit einem bösen Seitenblick auf Siggi, der ihn unvorbereitet ins offene Messer hatte laufen lassen.
Selbst schuld, dachte Seifferheld, man ruft vorher an, wenn man zu Besuch kommt.
Irmgard stellte die Reste der geschändeten Marzipantorte auf den Tisch. Als sie sich umdrehte, um Kuchenteller und -gabeln zu holen, fuhr eine kleine schwarze Patschhand aus und schlug eine Bresche in den Tortenrand.
Karina zog Fela in die Raumesmitte und räusperte sich. »Gut, dass gerade alle da sind, ich habe nämlich etwas bekanntzugeben.«
Seifferheld setzte sich. Was es auch war, es würde nicht gut sein. War sie der marxistisch-leninistischen Partei beigetreten? Hatte sie Mozes in der jüdischen Synagoge zu Stuttgart beschneiden lassen? Hatte sie ihr Studium geschmissen, um von nun an als Missionarin für Scientology in Uruguay tätig zu werden?
Karina drückte Fela einen Kuss auf die Wange und strahlte in die Runde.
»Papa, Mama, Fela – ich bin schwanger!«
Eins musste man Karina lassen: Sie verpackte knüppelharte Neuigkeiten nie erst lange in buntes Geschenkpapier – immer gleich ungeschminkt mitten hinein ins Gesicht.
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11 . Kapitel
Aus dem Polizeibericht
Ölkrise behoben
In den frühen Morgenstunden des Sonntags wollte ein 34 -Jähriger aus dem Tank eines im Industrieviertel Kerz abgestellten LKW Benzin abschläucheln. Er wurde von der patrouillierenden Streife dabei ertappt, wie er gerade den Schlauch ansaugen wollte. Ihm konnten bei der anschließenden Personenüberprüfung drei unbezahlte Tankungen an Tankstellen im Landkreis Schwäbisch Hall nachgewiesen werden. Ihm werden noch weitere dreiste Abschläuchelvergehen im Landkreis zur Last gelegt. Die Ermittlungen dauern an.
06 : 30 Uhr
Bonjour Tristesse, du alte Hackfresse
Dieser. Tag. War. Scheiße.
Eigentlich nicht nur dieser Tag. Sein ganzes momentanes Leben. Daran konnten auch die wuchtig läutenden Glocken von St. Michael nichts ändern. Seine Nase schmerzte mehr als seinerzeit seine angeschossene Hüfte. Seine Familie war ein Dampfkochtopf, der
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