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Nadelstiche

Nadelstiche

Titel: Nadelstiche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Baden & Kenney
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wahllos aufgestellte Vitrine.
    »Au! Nun mach endlich das Licht an!«
    Sam griff nach dem Schalter einer Lampe, und es wurde hell. Da war er, mit seinem vorzeitig ergrauten Pferdeschwanz, inmitten des erstaunlichen Durcheinanders von Jakes Wohnzimmer, lümmelte sich in einem Ohrensessel, die Beine auf einen Hocker gelegt.
    »Ich finde diesen Raum wohnlicher, wenn er nur durch die Neonreklame auf der anderen Straßenseite beleuchtet wird«, sagte Sam.
    »Es hat dich keiner gebeten, ihn zu bewohnen.« Jake fand die Angewohnheit seines Bruders, unangekündigt aufzutauchen und sich dann längere Zeit bei ihm einzunisten, ärgerlich und unterhaltsam zugleich. Heute überwog ärgerlich.
    »Na, na, großer Bruder. Kein Grund, mich anzuschnauzen, bloß weil Manny sauer auf dich ist.«
    Auf dem Weg zu dem Sessel gegenüber von Sam schob Jake einen Karton mit losen Bärenknochen beiseite, die ihm ein unerfahrener Gerichtsmediziner geschickt hatte, weil er dachte, sie stammten von einem Menschen, und setzte sich. »Hat sie dich angerufen, um sich über mich zu beschweren?« Er spürte, wie sein Puls sich beschleunigte. Wie kindisch!
    »Nein, sie hat angerufen, um mir einen Job anzubieten, und während sie mir besagten Job erläuterte, schimmerte – ganz sicher völlig unbeabsichtigt – ihr Frust über dich durch.«
    Jake sah das neckische Grinsen seines Bruders und spürte das gleiche übermächtige Verlangen, sich auf ihn zu stürzen und ihm den Arm umzudrehen, wie damals, als sie zwölf beziehungsweise sechs Jahre alt gewesen waren. »Einen Job? Was für einen Job – als Tütenträger für ihren nächsten Schuhkaufrausch bei Bloomingdale’s?«
    »Du unterschätzt mich, Bruder. Ich arbeite ab sofort für sie als Hilfskraft für die Prozessvorbereitung – soll ein paar Erkundigungen für einen Fall anstellen. Vier Kids aufspüren, die mit diesen Privatschulterroristen zusammen waren und jetzt wie vom Erdboden verschluckt sind.«
    »Soweit ich weiß, braucht man für so was eine amtliche Zulassung, die du nicht hast.«
    Sam wischte den Einwand beiseite, als hätte er eins von den Spinnennetzen entfernt, die von der Kopie des Malteser Falken in der Ecke hingen. »Ein paar diskrete Fragen kann schließlich jeder stellen. Ich assistiere Manny nur bei ihren Ermittlungen, sozusagen.« Sam setzte sich gerade hin, nahm die Füße vom Hocker und beugte sich vor, um seinem Bruder in die Augen zu sehen. »Wie ich höre, denkst du, so ein Fall wäre eine Nummer zu groß für sie.«
    Jake trat gegen den Karton, den er gerade verschoben hatte. »Das hab ich nie gesagt! Ich hab sie nur davor gewarnt, voreilig einen Fall anzunehmen, der vielleicht für niemanden zu gewinnen ist.«
    »Aha, du hast sie also gewarnt. Das kannst du gut, nicht, Jake? Wenn ich mich recht entsinne, hast du mich davor gewarnt, mit dem Motorrad zur Westküste zu fahren, Mount McKinley zu besteigen und mit dem Pacifists for Peace Rugby Club die Welt zu bereisen.«
    »Ich wollte nicht, dass dir was passiert. Und ich hatte gehofft, dass du zielstrebiger wirst.«
    »Om, om, ommmmmmmm«, sang Sam und übertönte Jakes väterliche Erklärungen, ehe er zu einer Erwiderung anhob. »Mir ist nichts passiert. Ich hab’s geschafft, und ich hatte verdammt viel Spaß dabei. Und ich habe Erfahrungen gemacht. Genau wie Manny welche machen wird. Vertrau mir. Vertrau ihr.«
    Jake öffnete den Mund, klappte ihn dann wieder zu. Sam war nie verheiratet gewesen, hatte nie eine ernste Beziehung gehabt, zumindest hatte er seiner Familie nie eine Frau vorgestellt, aber er hielt sich trotzdem für kompetent, den Ratgeber in Sachen Liebe zu spielen. Und dennoch war sein Bruder, dieser scheinbar so sorglose und unbekümmerte Nichtsnutz, im Grunde ein vernünftiger Mensch mit einer felsenfesten emotionalen Stabilität, um die ihn Jake beneidete. Irgendwie war er schon immer so gewesen, vielleicht weil Sam, als ihr Vater sie verlassen hatte, noch zu klein gewesen war, um sich daran erinnern zu können, wohingegen der damals sechsjährige Jake so unbeherrschbar reagiert hatte, dass ihre Mutter schließlich bei einer jüdischen Wohltätigkeitsorganisation Hilfe suchen musste. Jake war in eine Schule für schwer erziehbare Kinder geschickt worden, bis er lernte, dass es ratsamer war, seine Gefühle zu unterdrücken und all die Energie, die für Zorn erforderlich war, in das Studium der Naturwissenschaften zu stecken.
    Jake fischte die Speisekarte eines Thai-Imbisses aus dem Durcheinander auf

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