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Nächsten Sommer

Nächsten Sommer

Titel: Nächsten Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Rai
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eine gottverdammte Palme.
    Da war es wieder: Eine Frau, die um Hilfe rief. Mit amtlich Hall auf der Stimme. Kam auf jeden Fall aus dem Canyon. Bei diesem Gewinsel würde Jürgen garantiert keinen hochkriegen, und wenn ihm Maria den doppelten Rittberger machte. Die leckte sich bereits die Finger an und beugte sich über den Sitz.
    Der Hippiebus, hundert Pro. Touriekretins, die kurz vor Sonnenuntergang noch in die Schlucht stiegen. Die Schlimmsten von allen. Schlimmer als jede Schwuchtel. Die Schwuletten trauten sich ja nicht mal auf die Brücke.
Uhuuu, geht das tief runter!
Logisch geht das runter. Hat ein Canyon so an sich, dass er runtergeht. Eigentlich sollte man die in dem Gorges übernachten lassen.
    Maria fängt an, seinen Schwanz zu reiben, doch das Ergebnis ist mager. Fragend sieht sie zu ihm auf. Also, was macht Jürgen? Kurbelt die Lehne hoch, steigt aus – was bleibt ihm anderes übrig –, knöpft sich die Hose zu und steigt auf einen Felsvorsprung, von dem aus er die Schlucht überblicken kann. Es sind mehrere, drei oder vier, Männer inklusive. Deutsche. Sehen kann er sie nicht, aber hören. Oder doch sehen? In einem der Becken flimmert das Wasser, als bewege es sich. Schöne Scheiße.
    »Spart euch den Atem!«, ruft er hinab. »Bin doch nicht taub.«
    Er geht zum Wagen, öffnet den Kofferraum und holt Taschenlampe und Abschleppseil heraus. Als Maria ihn mit dem Seil über der Schulter sieht, sagt sie: »Mais pas si fort.« Aber nicht so fest.
    »C’est rien pour toi«, antwortet Jürgen. Ist nicht für dich. |111| »Fahr nach Hause, das hier wird länger dauern. Wir treffen uns um zehn bei mir, dann holen wir’s nach.«
    »Bei dir zu Hause?«
    »Was soll schon sein? Heute ist Saisonauftakt. Dein Mann trägt auf dem Bouleplatz seine Knarre spazieren, und Jeanne arbeitet bis Mitternacht im
Louis


|112| 21
    »Die quiekt ja wie ein Schwein!« Jürgens Stimme kommt näher und ertönt mit weniger göttlichem Hall. Auf halber Höhe der Steilwand blitzt ein weißer Lichtschein auf. »Hör endlich auf zu kreischen! Wenn man weiß, dass man gerettet wird, säuft man nicht mehr ab.«
    Es stimmt, denke ich, der Mensch nährt sich von Hoffnung. Unterdessen wird mir bewusst, dass ich den Stein unter meinen Fingern nicht mehr spüre und meine Hand abrutscht, ohne dass ich etwas dagegen tun kann. Ich werde vom Wasser verschluckt, das sich um meinen Hals schließt und über meinem Kopf zusammenzieht. Zoes Schreie zucken wie Fische durch das Becken. Lilith und Marc haben versucht, sie zu beruhigen, doch sie kann nicht aufhören, klammert sich an ihre Hilferufe wie an den letzten Strohhalm – solange ich schreie, kann ich nicht sterben. Mein Körper beginnt sich zu winden, meine Arme zucken. Ich sehe die Oberfläche auf mich zukommen, durchstoße sie und kann wieder atmen.
     
    Auf dem Felsen, von dem wir ins Becken gesprungen sind, erscheint Jürgen, der sich breitbeinig über uns aufbaut. Wie ein Jäger, der nachsieht, was ihm in die Falle gegangen ist. Er sucht nach einem sicheren Halt für seine Füße, knotet das mitgebrachte Seil zu einer Schlinge und legt sich das andere Ende um die Hüfte.
    »Den Schreihals zuerst«, sagt er.
    Gegen den Abendhimmel kann ich lediglich seine Silhouette erkennen, ein schwarzer Umriss mit einer Stimme, die direkt aus dem Felsen spricht. Wahrscheinlich ist es diese Stimme, deretwegen ich eine plötzliche Eingebung habe: Sobald er Zoe hat, lässt er uns ertrinken.
    Doch wir haben keine Wahl. Zoe schreit nicht mehr. Ihr Atem geht in kurzen Stößen und hält sie nur noch sekundenweise über |113| Wasser, bevor ihr Kopf untertaucht und ein panisches Zucken ihres Körper sie wieder an die Oberfläche treibt. Sie muss als Erste raus.
    Bernhard umfasst ihre Taille und zieht sie hinter sich her unter den Felsen. Sie bewegt sich nicht, aber ich höre ihren Atem und sehe ihre Augen in der Dämmerung verschwimmen. Sie wirft mir einen letzten Blick zu, der mich über seine Bedeutung im Ungewissen lässt, weil er zu wenig von sich preisgibt und zu viel für sich behält. Weiß auch sie, was Jürgen vorhat? Ich möchte helfen, doch meine Hände sind zu Sicheln geformt und lassen sich nicht mehr bewegen. Dafür sind Marc und Lilith da, die Zoe gemeinsam die Schlinge überstreifen. Stück für Stück steigt sie auf, bis sie vollständig über dem Wasser schwebt, die weißlich schimmernden Arme schlaff von ihren Schultern hängend, die Brüste unter dem Seil zur Unkenntlichkeit zerquetscht,

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