Nächte am Nil
Brockmannschen Grundstück auskennen, um im Dunkeln sofort eine Säge zu finden.
»Bitte nicht«, stotterte Birgit und hob flehend die Hände. »Bitte … wenn es kein Sand ist. Wenn keine Steine …«
Zuraida schüttelte den Kopf. Sie kantete die Urne, setzte die Säge auf die Lötnaht des Deckels und begann, die Urne aufzusägen. Das Kreischen der Sägezähne auf dem Metall zerriß fast Birgits Gehirn. Es war ihr, als hörte sie einen Menschen in gräßlichen Schmerzen schreien. Immer und immer wieder fuhren die Sägezähne in das Metall, die kurzen Haare Zuraidas verklebten sich mit Schweiß, ihr Atem hechelte wie bei einem gehetzten Hund.
Kreischen! Kreischen! Kreischen!
»Jetzt … gleich …«, keuchte Zuraida.
Noch ein Durchzug. Der getriebene Deckel schwankte. Zuraida warf die Säge weg, faßte mit beiden Händen in den Sägeschlitz und riß den Deckel von der Urne. Dann blies sie den Metallstaub vom Tisch und stülpte die Urne um.
Ein armseliges Häufchen graubraunen Staubs wölbte sich auf dem Tisch, als sie die Urne weghob. Zwischen dem Staub einige weißgelbe Teilchen, Stäbchen, Kügelchen. Wie der ausgeschüttelte Inhalt eines Staubsaugers. Ein Haufen Asche.
Mit spitzen Fingern zerteilte Zuraida die Asche, nahm eines der weißen Stäbchen hoch, hielt es unter die Lampe, legte es zurück, scharrte die Asche zusammen und hielt die Urne an den Tischrand. Mit drei Handbewegungen hatte sie die Asche wieder hineingeschoben und stellte die Urne auf den Tisch zurück. Vorsichtig, als könne sie jetzt noch etwas zerbrechen, legte sie den Deckel wieder auf.
»Was … was ist?« fragte Birgit Brockmann kaum hörbar. Sie kauerte in der Ecke wie eine getretene Katze.
Zuraida klopfte die Handflächen gegeneinander. Ihre schönen, glänzenden Augen blickten ein wenig traurig. Auf dem Tisch lag noch etwas Asche und wurde von dem Windzug der Hände aufgewirbelt.
»Es ist ein Mensch«, sagte sie laut. In der dunklen Zimmerecke fiel Birgit Brockmann ohnmächtig zu Boden.
*
Drei Tage lang erschien Alf Brockmann nicht in den Labors. Man hatte Verständnis dafür, Jussuf und Faruk, die beiden ägyptischen Wissenschaftler, kontrollierten den Bau des neuen Treibsatzerprobungsstandes. Brockmann saß während dieser drei Tage stumpfsinnig in seiner einsamen, schönen weißen Villa oder wanderte rund um das Schwimmbecken herum. Immer rundherum, in einem tötenden Gleichmaß, wie eine absurrende Maschine … fünfzehn Schritte, halbe Wendung. Und von neuem … stundenlang … immer rundherum. Arm auf dem Rücken, Blick auf die Steinplatten, mit verschleierten Augen, keine Antwort auf Fragen, keine Reaktionen auf einen Anruf. Nur gehen … gehen … gehen …
Am schlimmsten waren die Nächte. In der ersten Nacht lief er herum wie ein tollwütiger Tiger, hieb mit den Fäusten gegen die Mauern und brüllte: »Ihr Schweine! Ihr Schweine!«
In der zweiten Nacht war er ruhiger.
Lore Hollerau sorgte jetzt für ihn. Sie kochte, sie hielt die Villa mit zwei Fellachenmädchen sauber, sie brachte Alf Brockmann Kaffee oder geeisten Orangensaft, wenn er, vom Schweiß überströmt, tiefatmend am Beckenrand stand und seine Beine zitterten. Sie sprach ihn kaum an, aber als die zweite Nacht begann, blieb sie im Haus und legte sich neben Brockmann auf das Doppelbett.
Fast eine Stunde lagen sie stumm nebeneinander. Über ihnen kreiste noch der vierpropellerige Ventilator und wehte die Nachtkühle der Wüste zwischen die Hitze ausatmenden Mauern. Am Rande der Oase, zwischen den halb vom wandernden Sand vergrabenen Palmen und Steinmauern, bellten heiser die Schakale. Niemand wußte, woher sie kamen und wie sie die einsame Oase Bir Assi gefunden hatten. Aber wo Leben in der Wüste entstand, waren auch sie plötzlich da und mit ihnen die Geier. Die Wüste ist sauber; es liegt kein faulender Müll herum.
»Bitte, gehen Sie nach Hause, Lore«, sagte Alf Brockmann nach einer Stunde. »Sie haben heute genug mit mir zu ertragen gehabt.«
»Ich bleibe«, antwortete sie schlicht.
Schweigen.
Alf Brockmann wälzte sich aus dem Bett und trat an das Fenster. Der Garten mit dem Schwimmbad lag im fahlen Mondschein. Am Rande des Beckens kauerte eine dunkle, schmale Gestalt und strich mit den flachen Händen über das Wasser, als wolle sie es streicheln. Lange schwarze Haare umhüllten den hockenden Körper wie mit einem Schleier.
Aisha.
Alf Brockmann wandte sich in das Zimmer um. Er sah schemenhaft die Gestalt Lore Holleraus auf dem weißen
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