Nächte am Nil
dachte nüchterner. Sie genoß die Stunde, sie gab sich ganz dem Augenblick hin. Sie wußte, daß dieses Wunder von Liebe und Glück ebenso jäh zusammenbrechen würde, wie es begonnen hatte. Es gab keinen Weg mehr zurück in ein bürgerliches Leben, in das kleine Paradies einer Familie mit einem geliebten Mann und einer Schar Kinder. Das waren Illusionen. Leutnant Zuraida war mit Haut und Haaren Besitz des Geheimdienstes; das allein bestimmte ihr Leben. Die Tage oder Wochen an der Seite Josef Brahms' waren so etwas wie ein Urlaub vom Ich, waren wie eine Henkersmahlzeit. Die Hinrichtung folgte bestimmt. Nur den Zeitpunkt, den wußte man nicht.
In dem schalldichten Verhörzimmer der Villa ›Roseneck‹ stand der Schiffsführer mit auf den Rücken gebundenen Händen zwischen zwei stämmigen Geheimpolizisten und sah mit schreckensweiten Augen auf die sich öffnende Tür. Man sah: Er erwartete den Satan, aber es kam nur ein großer Mann herein, dem ein Riese von Mensch, ein pechschwarzes Untier, folgte.
»Du weißt, wo du bist?« fragte Brahms den Schiffsführer. Der Ägypter schüttelte den Kopf.
»Allah sei mein Zeuge, daß ich nicht …«
»Laß Allah aus dem Spiel! Du hast die Polizei belogen, und du bist hier …«
»Beim Barte des Propheten, ich habe nie gelogen!« Der Schiffsführer fiel auf die Knie und starrte Brahms aus flatternden gelben Augen an. Über sein Gesicht lief ein Zucken. Die Polizisten standen neben ihm wie Pflöcke.
»Baraf!« Brahms drehte sich um. Der riesige Nubier trat neben ihn. Er hielt in der Hand eine der gefürchteten Nilpferdpeitschen, eine Waffe, mit der man einen Menschen zerfetzen, zerschneiden, zerstückeln kann. Der erste Schlag der aus dicker Nilpferdhaut gedrehten Peitschenschnur reißt schon die Haut auf, der zweite Schlag fetzt das Fleisch von den Knochen.
Dem Schiffsführer quollen die gelben Augäpfel aus den Höhlen, als er das Marterinstrument in der Faust des schwarzen Riesen sah. »Nein, Herr!« brüllte er laut. »Nicht, o Herr! Habt Gnade! Allah wird Euch segnen beim Eingang ins Paradies.«
Sein Kopf sank auf den Boden, mit der Stirn schlug er ein paarmal auf, als bete er vor der Kaaba in Mekka.
Brahms winkte. Baraf hob die schwere Nilpferdpeitsche, aber er hieb nicht zu, sondern ließ die Peitschenschnur nur leicht über den gewölbten Rücken des Schiffsführers gleiten. Aber schon die Berührung genügte. Der Mann schrie vor Qual und Angst grell auf.
»Gnade!« brüllte er heiser. »Gnade, o Allah!«
»Sag die Wahrheit! Wohin hast du die blonde Frau gebracht?« Brahms trat an den Knienden heran und trat ihm in die Seite. »Der nächste Schlag von Baraf ist richtig!«
»Ich habe sie in El Ma'adi ausgeladen, Herr«, wimmerte der Schiffsführer.
»Ausgeladen?«
»Ja. Sie war betäubt.«
»Betäubt?« schrie Brahms. »Wer hat sie betäubt?«
»Ein Herr.«
»Welcher Herr?«
»Ich kenne ihn nicht.«
»Baraf!« sagte Brahms kalt.
Es klatschte kurz und trocken. Der Mann auf dem Boden brüllte und wälzte sich auf den Rücken. Seine Augen, blutunterlaufen, starrten gegen die Decke, aus dem Mund tropfte Speichel.
»Allah!« schrie er. »O Allah! Allah!«
»Wer war der Mann?« fragte Brahms ungerührt.
»Er mietete mein ganzes Boot, Herr. Er hatte drei schwer bewaffnete Wächter bei sich. Er war kein Ägypter. Er sah wie ein Araber aus. Wie ein reicher Scheich. Er betäubte die blonde Frau, und die drei Wächter trugen sie an Land. Das ist die Wahrheit, Herr. Ich schwöre es bei dem Propheten!«
»Und der Name?«
»Wer fragt nach dem Namen, Herr, wenn jemand ein ganzes Boot für sich allein mietet?«
Brahms ließ den wimmernden Schiffsführer liegen und trat an die große Wandkarte Oberägyptens. Der kleine Ort El Ma'adi lag auf dem rechten Nilufer am Ende des Wadi Digla. Nach einer schmalen Gartenzone begann die Wüste, die sich hinzog bis zum Golf von Suez. Hier, am Nil, im fruchtbaren Schlammgebiet, hatten Millionäre ihre Villen gebaut. Weiße Paläste, steingewordene Träume. Die Besitzer dieser Traumhäuser waren meistens einflußreiche Fabrikanten, Freunde der Minister, international bekannte Händler, Männer, deren Privatleben tabu war, selbst für einen Mann wie Jussuf Ibn Darahn.
Brahms wandte sich wieder um und winkte. Die beiden Polizisten rissen den Schiffsführer hoch und schleiften ihn aus dem Zimmer.
»Gruppe I soll sich einfinden«, sagte Brahms zu dem wartenden Baraf. »Und du gehst auch mit. Es wird ein heißer Tag
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