Naechte am Rande der inneren Stadt

würde Theo sagen. Konrad findet Theo grauenvoll chaotisch,
     er sagt immer
der Höllenmaler
, aber irgendwas interessiert ihn dann doch wieder an ihm. Jackson würde ihm vielleicht sogar gefallen, ich meine Konrad.
     Jackson weiß genau, was er will. Jetzt will er Australien. Er hat Stil. Er ist intelligent. Er liest Zeitungen und |120| Romane, und wenn er gerade mal nicht schweigt, kommentiert er, was er liest. Mit mir schweigt er allerdings ziemlich gern.
     
    Der Mistkerl ruft nicht an. Seine Besuchstrulla lässt ihm wohl keine Zeit. Ich rufe gleich Konrad an. Konrad käme sofort.
     Der Mond steht so hoch am Berliner Himmel, die Bäume rascheln so laut, mein Freund läuft allein durch die Straßen und Jackson
     – ——————

    SIE BLEIBT NOCH EINE NACHT! Ich glaub es nicht. Ich tobe. Ich bin ins »Hegel« und hab drei Wodka getrunken. Der alte Russe
     mit den schmierigen Haaren hat sich gefreut, mich mal allein zu sehen. Statt Revolution hat er Sehnsucht gesungen, klingt
     aber ganz ähnlich. Liegt sicher am verstimmten Klavier. Gerade als ich anfangen wollte mitzusingen, kam Robert
zufällig
vorbei und hat mich nach Hause geschleift. Bis in den Wedding!! Mit dem Nachtbus. Nee, hat er gesagt, es gibt nicht noch einen.
     Meinte den Wodka.
     
    Hattet ihr einen Rückfall? habe ich am Telefon gefragt. Wahrscheinlich saß sie daneben. Ich fluchte, dass er von unserer kurzen
     Zeit ganze Nächte verschenkt. Geht nicht anders, sagte er, war ausgemacht.
    Ich rief Konrad an und ging mit ihm ein Bier trinken. Ich erzählte ihm alles Mögliche, nur nicht die Wahrheit. Er war sehr
     gut aufgelegt. Wir sahen Godard, ›
Pierrot le fou‹
und spazierten |121| danach lange Hand in Hand durch die Straßen. Es roch gut, nach Sommer. Er war glücklich, dass ich ihn brauchte. Er streichelte
     ununterbrochen über mein Haar.

    Heute Mittag um halb zwei rief Jackson an. Er hat seinen Besuch zum Bahnhof gebracht und ist zum Telefon gestürzt, noch am
     Bahnhof. Ich hörte die Geräusche und Ansagen. Er werde sich aus dem Geschäft der Treue und Untreue zurückziehen, sagte
     er. – Von mir? fragte ich. – Ach nein, sagte er, wo wir nun mal angefangen haben.
    Ich hasste ihn und fuhr zu ihm.
     
    Die Macht des Schicksals besteht darin, dass keiner Zeit hat nachzudenken.
Ist ein Zitat, von Alexander Kluge, vermittelt von
Professor
Heumann. Manchmal quälen mich Gewissensbisse, Konrad gegenüber, sogar Jacksons Freundin gegenüber, die irgendwo in Australien
     herumläuft und ihn liebt. Zum Glück kenne ich sie ja nicht. Ich wollte auch kein Foto sehen. Mein Herz geht langsam durch
     die Straßen meiner Stadt. Ich |122| trage keine Stöckelschuhe, dann wär es leichter,
cool
. Ich kann den Mond nicht in meine Arme schließen. Oder mich an ihn hängen und baumeln daran. Es ist vier Uhr früh und vorhin
     stand ich tatsächlich im Hof von Robert und brüllte nach ihm. Robert hat geschlafen. Vielleicht ist er auch gar nicht da.
     
    Eins, Eins.
    Der Übergriff der Sinne aufs Herz.

    Mensch Mädel, hat Heumann gesagt, denken Sie mal nach, über die Struktur dieses Bildes. Die Elemente. Wann Goya gelebt hat,
     kann jeder nachlesen. Sie müssen lernen zu sehen. Sonst bleiben Sie eine bürgerliche Pute, die nicht kieken kann. Die Kunst
     nur für ihren Teetisch braucht.
    Ich weiß gar nicht, warum er so ungeduldig mit mir war. Manchmal hat er so einen Haschmich. Ich muss aber auch meine Scheine
     machen, habe ich gesagt. Das war es wohl. Er wollte, dass ich in ein Atelier mitgehe, von einer Malerin. Er hat immer Zeit,
     ich glaube, er hat die Ewigkeit für sich gepachtet.
    |123|
    In der Nacht J.s Körper gebogen über meinem wie sein Sex in mir drin. Das ist traurig, sagte er plötzlich, findest du nicht?
    Ich dachte immer nur
die Struktur eines Bildes finden
. So ein Mist.
    Wie sich eine nicht entworfene Linie ergibt, aus den Farben, der Bewegung. Aus meinem Leben. Authentischer kann man nicht
     erfinden. Was später bewusste Konstruktion wird. Geschenke, wenn sie dauern in der Zeit. Mitten im Akt hatte ich Lust, mit
     Heumann darüber zu reden. Ich hatte plötzlich das Gefühl, etwas zu begreifen. Ich will mich wirklich bemühen. Wenn er mich
     ärgern will, sagt Heumann
Sie
zu mir. Heumann hat langes Haar, und wenn er sich Bilder ansieht, legt er immer eine Hand an die Wange und stützt die andere
     in die Hüfte. Er schiebt das Spielbein vor und hat plötzlich so etwas souverän Professorales, das ihm sonst eher abgeht. Seine