Naechte am Rande der inneren Stadt
döste; ich hatte seinen
Walkman
auf und beobachtete die Leute, es war, wie ich es mir früher manchmal wünschte: die Filmmusik im eigenen Leben. Nina Simone.
Und schon sehe ich die Welt in Ausschnitten. Vielleicht sollte
ich
mal ein Video machen. Heumann hat mich irgendwann mal gelobt und gesagt, es braucht für die Kunst auch Leute, |127| die sie sehen. Das wäre auch eine Kunst, und ich müsste nicht traurig sein, dass ich nicht selber Künstlerin werden würde.
Ich weiß nicht, ob er recht hat. Ich bin traurig, trotzdem.
Handtuch neben Handtuch, Beine neben Beinen –
Mein Blick, meine Kamera, tastet Gesichter ab, Blicke, Bewegungen, Konstellationen. Harmonien, Rhythmen, Störungen. Mein Blick
legt sie hinein, strukturiert die Wirklichkeit. Ich beobachte leidenschaftlich gern. Jackson findet: zu gern; deshalb würde
ich kneifen, selber Bilder zu machen. Du lässt dich ablenken, sagt er. Da hat er sicher recht. Man muss so konsequent sein,
wenn man etwas erreichen will. Jackson sagt: Ich bin jetzt vierundzwanzig. Wenn ich es in drei, vier Jahren nicht geschafft
habe, schaffe ich es nicht. Der Markt ist hart. Es gibt zu viele; die Positionen sind alle besetzt.
Alle? fragte ich. Deine nicht.
Ach weißt du, sagte Jackson und zuckt die Achseln.
Heumann sagt, ein Künstler ist einer, der nicht anders kann.
|128| Jackson wusch Wäsche, ich hocke daneben.
Mein Vater kommt morgen oder übermorgen, sagt er.
Was sagst du dann, wer ich bin? frage ich. Der weiß doch gleich Bescheid.
Ist mir egal, sagt Jackson.
Ferne Sommerabendgeräusche, Klappern im Hinterhof, Vögel, ein Fernseher. Das Kratzen von meinem Füller. Jackson, Jackson.
In seiner Wohnung vergesse ich meine Verpflichtungen, und gleichzeitig lerne ich ganz viel. Ich habe einen kurzen Rock an
und ein leichtes Sommerhemd. Ich sehe ganz anders aus als Jacksons Verena. Ganz ganz anders. Ich hätte gern Jacksons Wohnung
fotografiert, am Morgen nach unserer ersten Nacht. Wie vom Bett aus gesehen das Licht durch die Fenster fiel. Wie die Kastanie
grüne Schattenmuster in den Raum warf. Wie ich dann, im Kleid vom Abend davor, in der Jeansjacke, auf dem Fahrrad nach Hause
fuhr. Wenigstens wartet Josef immer auf mich, den ich so oft allein lasse. Das hört ja nun auf.
Jacksons blaues Sofa zum Ausklappen. Blau steht mir am besten.
In der Cafeteria. So hat es angefangen. Dies ist mein Anfangsgebet. Mittwochs in der Cafeteria an der HdK. Hab mich umgedreht, bin aber vorwärtsgelaufen, da sind wir ineinandergerannt. Wo wohnst du, gehen wir ins Kino. Das Lachen,
die Ironie, die superkurzen Sätze. Die Sätze wurden immer kürzer.
Ach Junge, nächste Woche gibt es ein Riesenloch in meinem Leben. Dann muss ich meine Nächte allein verbringen. Da werde ich
lesen und schreiben und ein dickes Pensum schaffen, und Heumann wird sich freuen.
|129| Jackson leidet unter dem Fortgang der Zeit. Dass ich nicht lache. Ich leide an deinem Fortgang, hab ich gesagt. Ich habe gar
keine Lust mehr, mit ihm zu schlafen. Über das Diktat der Muschi. Vortrag Ende. Du spürst der Zeit nach wie ich. Du malst
die Bilder des Vergehens, ich zimmere die Sätze dazu: Könnten wir glücklich sein!
Wir alle lieben eine Erzählung, sagte Jackson heute. Ich weiß gar nicht, wie er darauf gekommen ist. Vielleicht nur eine Zeile,
einen Vers. Finde sie, sprich sie an, und du wirst ein guter Lehrer.
Ich will kein Lehrer sein, sagte ich.
Ich rede auch nicht von dir.
Lehrer? Ist das dein Ernst?
War nur mal laut gedacht, sagte er.
Ich glaube, Jackson
fait une crise
. Eindeutig.
Ich mache ein Seminar über Bäume. Bäume und der
Stillstand der Zeit
. Im Wintersemester. Bei Heumann natürlich.
Vorgestern projizierte ich mein Glück auf die Welt, sah synchrone Bewegungen, wo keine waren – oder doch? Sah Sonnenflecken
auf dem Gesicht, das sich mir mehr und mehr öffnet. Manchmal macht er seine Haut ganz durchlässig, ich schlürfe daraus, langsam
und genüsslich. Aus allen Falten, die |130| es einmal geben wird. Jackson sagte ganz früh am Morgen, er würde lieber schreiben als malen. Ich fing zu lachen an, unpassend.
Er zeigte mir Zeilen, die er angestrichen hatte, bei Pessoa, über Leere und zielloses Tätigsein.
Mach die Worte mit auf die Leinwand, sagte ich, das reicht. Mehr Worte hast du nicht, dachte ich. Im Ungesagten ist bei dir
das Gesagte.
Was wir voneinander hätten? Das Auskundschaften von Seinsarten? Eigene Aufgaben leben,
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