Naechte am Rande der inneren Stadt
Augen sind hellblau und sein Mund schmal, aber nicht verkniffen. Seine Hände sind kräftig, aber nicht plump. Er ist ein hübscher
Mann. Nur zu alt. Er will ein Buch über Andy Warhol schreiben, das verstehe ich überhaupt nicht. Was will er bloß mit den
frigid people
?
Frigid people really make it
, hat Warhol gesagt.
Wir machen ein Video über Liebe, Leidenschaft und Gewalt, sagt Jackson plötzlich, als er die Spaghetti abgießt.
Willst du die Malerei an den Nagel hängen? frage ich.
Nein, sagt er, aber die Zukunft liegt in der Videokunst.
Ach na ja, sage ich, du kannst ja mal eins machen, aber ohne mich.
Siehst du, sagt er, du liebst mich, aber nicht meine Kunst.
Wie kommst du denn darauf? frage ich. So habe ich es überhaupt noch nicht betrachtet.
|124| Verena liebt meine Kunst, sagt er. Sie kommt am Sonntag und hilft mir packen.
Mir wird akut heiß. Daher weht der Wind, sage ich trocken. Wieso kommt sie her? Ich denke, sie ist in Australien und macht
da das Nest für dich fertig.
Sie hat ihre Eltern besucht, ihre Oma ist siebzig geworden. Ihr Vater kommt übrigens auch her.
Das war letzte Nacht. Ich schluckte. Ich fühlte eine blöde Schwäche in meinem Körper.
Komm her, sagte er, und nahm mich in den Arm. Ich machte mich steif.
Ich werde dich besuchen, vielleicht komme ich ja wieder her und studiere hier weiter –
Lass mich, sagte ich und stieß ihn weg. Den Teufel wirst du.
Ich hockte mich in die Ecke seiner Küche. Du kennst noch nicht einmal meine Kniekehlen, sagte ich bockig. Das haben mir andere
beigebracht, mich so zu kennen.
Nächstes Jahr, sagte er. Nächstes Jahr?
Er ist jetzt immer ganz entspannt, wenn ich über seinen Körper wandere. In jeden Winkel will ich. Seine Haut ist so trocken,
fast spröde, ich mag sie, sie wird heiß ohne zu schwitzen. Er reagiert auf kleinste Berührungen. Ich werde ihm jedes Detail
schreiben, das ich bei anderen entdecke. Am Dienstag hat er mir einen Vortrag gehalten
: Mit einer schlafen oder mit allen, etwas anderes geht nicht.
Vortrag Ende. Jackson ist ein eloquenter Mann.
Ich habe immer einen Spruch parat. Verdammt. Am liebsten hätte ich ihm eine Ohrfeige gegeben. Der Austritt des Herzens aus
den Poren. Lieb mich, ach lieb mich. Sein Blick kann ganz aufgelöst sein. Er küsst mich jetzt nicht mehr so fliehend. Was
heißt
jetzt
? Die letzte Zeit, jetzt ist ja schon wieder anders, jetzt läuft die Uhr auf Abreise. Da kann er leicht dicke Küsse machen.
Am Anfang musste ich manchmal sagen, jetzt lass doch mal deinen Mund in meinen fallen.
|125| Er war müde, ich zog ihn aus, klappte das Sofa auf, machte das Bett, zog ihn hinauf. Er kann nie lange still liegen neben
mir, seine Hand fängt an zu reisen. Ich will, dass sein Mund auch mal eine schöne Reise macht.
Ich bin gespannt auf seine Briefe. Drei Sätze? Oder vier? Ein Vortrag aus fünf Worten? Schickt er Bilder? Ich glaube, das
wird nichts. Wenn wir uns nicht anfassen, was sollen wir da reden? Konrad will Einheit von allem, Reden, Körper, Seele, Geborgenheit.
Mit Jackson Geborgenheit? Nur im Bett. Obwohl. Wenn er kocht und mein Shampoo kauft, fühle ich mich sehr geborgen. Das Physische
ist das Innere.
Ich will keine Verschmelzung.
Dieser tradierte Gedanke ist regressiv
, nicht wahr, Leonhardt? Eins sein? Puh. Bin froh, gerade mal so meine Identität zu kennen, sie kennenzulernen. Manchmal tut
das Nachdenken weh. Ist das dann auch Schicksal?
|126| Konrad bat mich, mit in seine Wittgenstein-Vorlesung zu kommen. Wittgenstein ist so eine Art Heiliger für ihn. Es ging um
die
Seele-Als
, was auch immer das sein mag. Konrad möchte gern eine eigenständige, philosophische Arbeit schreiben, etwas im Sinne von
Der Einfluss von Wittgensteins später Sprachphilosophie auf die Rechtsprechung.
Von den Sprachspielen und ihrer Unübersetzbarkeit. Das würde Jackson bestimmt gefallen.
Jackson findet, es ist keine gute Idee gewesen, Konrad von unserem Verhältnis zu erzählen.
Am Nachmittag gingen wir in die Rehberge, zum Plötzensee, schwimmen. Der kleine See war überfüllt, auf der Wiese drängten
sich alle. Ich mag lieber Sand als Gras, aber okay. Das Sonnenlicht war so grell, dass die Farben wie ausgelöscht schienen.
Doch eigentlich schimmerten das Wasser, die Büsche und Bäume silberngrün, so wie Corot es malt, sein berühmtes helles Grau,
das hundert Farben hat, und die Menschen blitzten weiß oder dunkel darin auf. Jackson lag neben mir und
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