Naechte am Rande der inneren Stadt
wenn er will!
Was?! sagte Robert. Du spinnst wohl! Da komme ich aber nicht!
Robert war bleich geworden, sein Kinn bebte. Er ballte seine Fäuste, ich sah die Knochen hervortreten.
Das bringst du nicht, sagte Robert.
Konrad fing an zu lachen. Völlig durchgedreht. Er hörte gar nicht mehr auf.
Konrad, sagte ich, Konrad!
Er stieß mich fort. Es war entsetzlich. Mir wurde ganz schlecht.
Konrad schrie, er schrie alles mögliche, ich hörte nur noch: Jetzt hast
du
sie am Hals, du wirst sehen, wie das ist!
Ich sprang auf und rannte aus der Wohnung und durch die Straßen.
Später liefen Robert und ich durch den schneebedeckten Tiergarten. Wir schämten uns wegen Konrad und dann hatten wir es vergessen.
Manchmal habe ich das Gefühl, als hätte Konrad es gewollt, dass ich mich in Robert verliebe. Es ist sicher Unsinn.
|230| Du musst so sein, wie du bist, hat Konrad einmal gesagt, dann gibst du anderen am meisten. Nur dort, wo wir uns nackt machen,
begegnen wir uns –
Robert schiebt einen Brief unter der Tür durch. Vergiss, was gewesen, steht da, verlier dich in mir, nur so können wir glücklich
sein.
Im Traum fahre ich mit Skiern einen Hang hinunter, ich sehe Häuser, die schon halb vom Schnee verschlungen sind... Dann bin
ich wieder auf dem Berg, in einer Art Höhle. Ein Bus kommt, eine Gruppe von Menschen steigt aus, von denen es heißt, der eine
ihrer Elternteile komme aus Dänemark, sei dort im Krieg gezeugt mit Deutschen. Sie alle, die Kinder dieser Leute, gelten als
traumatisiert; ich sehe Robert unter ihnen und verstecke mich. Ich schäme mich entsetzlich: Er gehört zu den
Versehrten
! Das habe ich nicht von ihm gewusst! Er spricht mit verschiedenen Leuten und ich nehme ihn in seiner ganzen zerstörten Zartheit
wahr – und bin überschwemmt von Mitgefühl.
Beim Aufwachen habe ich ihm die Ignoranz auf der Party verziehen, so viele Tage hat es gedauert. Wir sind beide verletzlich
und impulsiv. Wir sind verletzliche, unvollkommene Wesen.
Natürlich ist Robert nicht das Kind einer Besatzerbeziehung; vielleicht ein Enkel? Das weiß ich nicht; ich muss ihn fragen.
Nachts streichelte er mein Gesicht, als ich schon halb schlief.
Du kannst dich auf mich verlassen, hörte ich ihn sagen. Ich habe gern Geduld mit dir.
Ich wurde wieder wach.
Ich weiß nicht, sagte ich. Du redest so, als wäre ich ein bockiges Pferd, mit dem man Geduld haben muss, und du sagst mir
nichts von dir.
|231| Er nickte, er küsste mich, er streichelte mich, und am Ende der Nacht glaubte ich alles –
dass er mich liebt –
Auf der Institutsfete bei den Kunsthistorikern (wir feiern schon wieder das Ende des Semesters) tauchte Benno auf. Er war
aggressiv und fragte, wie viele Liebhaber ich denn inzwischen gehabt hätte. Wie viele ich gleichzeitig schaffen würde. Er
riss an meinem schwarzen Kleid mit dem runden Ausschnitt. Ich boxte ihn. Er fragte, na, befriedigt Robert dich voll und ganz?
– Ja, wenn du das wissen willst. – Na, es wird sicher nicht lange dauern, sagte er. Ich hatte die Nase voll von seinem
Na!
und seinen üblen Reden, auch wenn ich verstehen kann, daß er wütend ist, verlassen worden zu sein. Außerdem war er betrunken.
Wir sollten uns besser nicht sehen, sagte ich zu ihm. Ich glaube, er hätte mich am liebsten geschlagen. Ich spürte es. (Ich
sollte auch Konrad nicht sehen, aber Konrad bettelt, und er hat sich schon wieder für seinen Ausbruch beim Frühstück entschuldigt.)
Plötzlich umarmte Benno mich, zuerst liebevoll, dann griff er mir herausfordernd in den Ausschnitt hinein, an die Brust, ich
schob ihn fort. Du willst ja nur triumphieren, zischte er. Dein schönes Kleid, deine Schuhe, deine Spange im Haar!
Ich sah zu, dass ich fortkam.
Ich komme nach Hause, finde einen warmen Ofen und ein Liebesgedicht auf dem Tisch. Ich putze die Zähne und gehe in mein Zimmer,
mache Licht am Bett. Robert liegt darauf, auf den Arm gestützt, und sieht mich an. Wir unterhalten uns leise bis um vier.
Er will wissen, wer alles bei dem Fest war. Ich erzähle von Benno. Von Matisse, vom Bildhauern in der Malerei. Von hunderttausend
Kleinigkeiten. Das Gefühl, wir brauchen gar nicht zusammen zu schlafen.
|232| Zwei Tage später. Auf dem Ofen liegt ein Zettel:
Jeden ansehen, als wäre er ein solcher Abgrund. Kafka.
Was ist denn jetzt schon wieder?
An manchen Tagen möchte ich alle um Verzeihung bitten, denen ich ein Leid getan. Gott ist mir so fern,
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