Naechte am Rande der inneren Stadt
speziellen Blicke des heimlichen Einverständnisses zu; wenn ich mich zu ihm stellte, ging er weg. Keine einzige
Berührung. Ich war perplex. Ich trank nichts. Ich aß nichts. Nach eineinhalb Stunden verließ ich die Wohnung und fuhr nach
Hause. Ich beschloss, ihn nie wieder zu sehen.
Am Morgen wachte ich auf, er neben mir; beim Frühstück dann ein Riesenstreit.
Ich kann Männer nicht ausstehen, sagte ich, die nachts zu einer Frau zärtlich sind und sie tagsüber ignorieren.
Er entschuldigte sich; bat mich, ihm zu verzeihen, er sei dies alles nicht gewohnt. Ich konnte mich nicht beruhigen.
|227| Das ist eine schreckliche Missachtung, sagte ich.
Du bist die ganze Zeit in meinem Kopf gewesen, sagte er.
Ich stand die ganze Zeit neben dir im Raum, sagte ich. Kein Abstraktum und kein Traum, ein Mädchen aus Fleisch und Blut.
Ich will ihn in den nächsten Nächten nicht bei mir haben. Ich bin mir sicher, dass er eines Tages eine andere anbeten wird.
7 (Ensemble: mémoire)
Ich bin mit den Tapeten noch lange nicht fertig. Sie kommen mir entgegen, aber weiter unten kleben sie fest an der Wand. Ich
arbeite mit dem Spachtel. Es ist ätzend kalt; die Kleisterreste und die Tapeten selbst strömen einen fiesen scharfen Geruch
aus. Trotz des lauten Heizlüfters sind meine Hände eisig. Ich habe noch ein paar Polaroids gemacht. Klempner, Hausverwaltung,
Handwerker. Ich bräuchte so viele Schutzschichten, wie hier Tapeten übereinandergeklebt sind. Bin ich Eva oder Milena? Ist
Milena die Geliebte oder Eva? Ich weiß es nicht.
Milena oder Eva geht in ihr kleines Arbeitszimmer und zieht Jacksons Bild hinter dem Schrank hervor. In diesem Moment wird
sie sicher: Sie ist Eva. Eva lässt wie lange nicht mehr die Hände über das Bild fahren; ihre Fingerkuppen folgen den Strichen
der Farbe, die ihr Freund aufgetragen hat, konzentriert und entrückt. In diesem Zimmer ist es nicht sehr warm; sie hat es
in der letzten Zeit kaum genutzt. Sie zieht die Schublade mit der kalten Asche aus dem alten Kachelofen und schüttet sie in
den Zinkeimer. Sie atmet den stechenden Geruch ein, sieht, wie Aschestäubchen über dem Eimer aufschweben. Sie öffnet die Abzugsklappe.
Sie baut einen Stapel
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aus Zeitungspapier, Hölzchen, aufgestellten Briketts in den Ofen und hält ein brennendes Streichholz hinein. Sie wartet, bis
die Flammen hochschlagen und ihr Gesicht heiß wird, ihr Hals, ihre Schultern, dann schließt sie die untere Klappe.
Sie sitzt lange in diesem Zimmer und betrachtet Jacksons Bild. Sie konzentriert sich mit ihrem Blick auf die Farben. Sie lässt
die Farben blasser werden, bis an die Grenze zum Verschwinden, nur mit ihrem Blick, und dann: leuchten sie wieder auf. Sie
entdeckt kaum wahrnehmbare Details, feine Rhythmen. Zeit dehnt sich.
Von diesem Tag an darf Robert nicht mehr in dieses Zimmer. Es riecht leicht nach Farbe. Abends, wenn sie allein schlafen geht,
zieht sie Jacksons Bild hervor, lässt die Hände darüber wandern, schiebt es zurück.
Ich träume von mir als einem Nicht-Ich. Ich sah mich aus der Perspektive dessen, der mich im Traum auf einen Rollwagen legte
und ansah. Ich träume von geheimnisvollen Orten, zu denen ich hin will.
8 (Ensemble: Soziale Plastik II)
Frühstück mit Konrad und Robert in Roberts Wohnung. Er hat uns eingeladen, ganz förmlich. Er will uns seine Küche vorführen;
er hat eine neue weiße Einbauzeile und eine graue Arbeitsplatte. Alles ist perfekt ineinandergefügt. In der Ecke steht die
aufstellbare Dusche. Sie stört ein wenig das Bild. Das Geschirr ist weiß, das Besteck elegant. Wir trinken Darjeeling. Dann
kommt’s.
Konrad fängt an, mir Vorwürfe zu machen, den schnellen Wechsel, meine Untreue vorher schon, auch wegen Leonhardt, mit dem
ich ganz nebenher angebandelt hätte. Er nannte ihn |229| meinen Sportcenterphilosophen, ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Ich schwieg fast die ganze Zeit und stammelte nur
es tut mir leid
. Robert saß da mit hochrotem Kopf.
Du kannst dich jedenfalls darauf einstellen, sagte Konrad, der völlig aus der Fassung war, viel Liebe, aber auch viel Schmerz!
Ich zitterte schon am ganzen Körper. Robert sagte immer noch nichts! Konrad feixte.
Ich habe deinen Freund Benno eingeladen, sagte er, zum Fondue, willkommen im Club der Versehrten! Man darf schließlich keinen
ausschließen, oder? Wir müssen alle integrieren, hat doch dein Fitnessphilosoph immer gesagt! Der kann auch gleich kommen,
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