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Naechte am Rande der inneren Stadt

Titel: Naechte am Rande der inneren Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Langer
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Für-sich-sein-Wollen, auch wenn er beteuert, es wäre mit keiner anderen so
     gewesen wie mit mir –
    und ich bin allein.
     
    |235| Als ich Nora kennenlernte... als Robert mir Nora vorgestellt hat... als wir Nora zum ersten Mal gemeinsam über den Weg gelaufen
     sind, hat Robert sich ganz steif gemacht. Er hatte vorher die Hand an meinem Nacken gehabt, er zog sie fort. Ich dachte, er
     könnte doch einfach zu ihr gehen, sie umarmen und sagen, alles ist gut. Nora zwinkerte mir zu.
    Und dann saß ich zum ersten Mal in ihrer Wohnung um die Ecke.
    Jetzt sitze ich immer wieder bei ihr, ich gehe am Nachmittag oder am frühen Abend bei ihr vorbei. Jedes Mal stehen überall
     Obstschalen und Blumen. Nach den Tulpen kamen Mimosen, Margeriten und blaue Anemonen, ein Nizzastrauß, sagte sie, ich habe
     mir auch gleich einen gekauft. Sie hat viele Bücher, über Psychiatrie natürlich, wegen ihres Studiums, Schizophrenie interessiert
     sie besonders, aber auch Romane und Landeskunde. Ich frage sie, ob sie die Kunst von den Schizophrenen in Wien kennt, oder
     aus der Sammlung Prinzhorn, sie schüttelt den Kopf. Ich bringe dir ein Buch mit, das nächste Mal, sage ich. Auf dem Bett liegen
     bunte Kissen, die Wände sind in verschiedenen Farben gestrichen, Poster von Jazzmusikern hängen daran, und ein Schwarz-Weiß-Foto
     von ihren Eltern, als sie jung und sehr verliebt waren. Nora liest mir gern vor, wenn ihr etwas gefällt. Sie kocht wunderbar,
     und es sieht schön aus, wie sie den Tisch deckt; wir essen Reis und Huhn und Salat, und wir trinken Espresso. Sie räumt das
     Geschirr ab und legt mir Tarotkarten auf dem blauen Wachstuch. Wir lachen oft, denn sie deutet die Karten nach einem eigenwilligen
     poetischen System; ich habe den Verdacht, dass sie es jedes Mal erfindet.
    Wenn ich mich einsam fühle, schaffe ich es nicht, zu Nora zu gehen. Warum fühle ich mich einsam? Ich weiß es nicht genau.
     Nora sagt, Robert sei mit sich nicht im Reinen. Aber wer ist das schon? In unserem Alter? Sie sieht mich besorgt an.
     
    |236| Ich sinke von dumpfen Freuden in dumpfen Schmerz, sagt Robert, ganz unmittelbar.
    Ich erschrecke. Gerade hatte ich so tief unsere Verbindung empfunden. War sorglos und zufrieden. Wie spricht er überhaupt?
     Ganz fremd!
    Unsere Vergangenheit und unsere Zukunft, hat er gesagt, spiegeln ein Bewusstsein des Verlustes und der Langeweile. Und dann
     hat er mich wahnsinnig geküsst, aber ich war nicht bei der Sache; seine Worte hatten mich zu sehr verwirrt.
    Am nächsten Tag schiebt er mir ein Zitat von Ernst Jünger unter der Tür durch:
Wenn der Mensch den Halt verliert, beginnt die Furcht ihn zu regieren, und in ihren Wirbeln treibt er blind dahin.
    Was sind das für Andeutungen? frage ich. Was liest du da?
    Ich kann dazu nicht mehr sagen, sagt er und sieht mich trübsinnig an.
     
    Ich rufe bei ihm an, er geht nicht ans Telefon. Ich gehe zu ihm; niemand öffnet. Ich gehe später noch einmal vorbei; ich warte
     vor seiner Tür; ich gehe die Wege ab, die er täglich nimmt. Ich komme mir dumm vor. Warum kümmere ich mich nicht um meine
     Dinge? Was ist nur los?
    Abends steht er vor der Tür und entschuldigt sich. Meine Prüfungen, sagt er, ich weiß nicht, wie ich das schaffen soll. Vielleicht
     ist es besser, wir schlafen nicht so oft zusammen, ich brauche mehr Zeit zum Lernen.
    Ich habe ein
déjà-vu
.
    Wieso schaffe ich meine Arbeit und die Liebe, und die Männer schaffen es nicht?
    Lass uns was essen gehen, sagt er, komm.
    Nicht küssen, essen. Na gut.
    Wir gehen zum chinesischen Imbiss, und er sagt, eine eklige Gleichgültigkeit befalle ihn, wenn er unter Druck gerate.
    Er ist bleich, sieht aus wie ausgekotzt.
     
    |237| Ich träume wieder, dass er an eine andere Frau Gedichte schreibt –
    – und was geschieht?
    Robert erzählt mir, dass er Mathilda getroffen hat! Er hat keine Zeit für mich, aber er trifft Mathilda, seine alte Liebe!
    Ich muss da etwas klären, sagt er.
    Was denn? frage ich.
    Das kann ich dir noch nicht sagen.
     
    Hinter Schwaden eine fahle Sonne, extra für mich. Ich bekomme Kopfschmerzen. Jedes Geräusch stört mich. Wir sind doch erst
     wenige Monate zusammen! Der Frühling. Die blassen Menschen. Ich fühlte mich verloren, wittere in jedem einen Irren, der etwas
     von mir will; ich sehe nur Betrunkene und Einsame.
     
    Ich bin bei Robert. Robert redet wirr über Anarchie und Nihilismus und seinen Bruder, der bald heiraten wird. Ich sehe seinen
     Kiefer malmen; ich spüre, wie

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