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Nächte im Zirkus

Nächte im Zirkus

Titel: Nächte im Zirkus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angela Carter
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abebbte und nur noch in erschöpftem Schluchzen nachhallte.
    Liz umarmte mich und küßte mich, und wie sie sich auch immer unter ihrer ruhig-kühlen Oberfläche fühlen mochte, im Handumdrehen war sie unter den stinkenden Bärenfellen eingeschlafen, doch meine Nerven waren von der furchtbaren Tragödie so erregt, daß ich nicht schlafen konnte, obwohl schließlich die Clowns schliefen, Karten und Gläser in den Händen, der Colonel schlief, Mignon und die Prinzessin im Schlaf versanken.
    Die Waldesstille wurde nur von Wolfsgeheul unterbrochen, ein Laut, der einem wegen seiner völligen Ferne von allem Menschlichen das Mark gefrieren läßt, und die Stille sagte mir nur, wie einsam ich war und wie die Nacht um uns nichts enthielt, die unendliche Melancholie dieser leeren Räume zu lindern.
    Da lag ich, mein Gesicht in den Armen vergraben, und dann hörte ich leiseste Schritte auf dem Lehmboden, und dann spürte ich eine Berührung, die sanfteste, leiseste Berührung, an meinem Rücken. So rasch ich hochfuhr, ich erwischte ihn nicht dabei: Der Feuerjunge hockte wieder mit untergeschlagenen Beinen an der Feuerstelle, doch in seiner Hand war eine purpurne Feder.
    Ich brachte es nicht übers Herz, mit ihm zu schimpfen.
    Meine Bewegung hatte den Colonel aufgestört; er rollte auf den Rücken und schnarchte bald mit seinem Schwein um die Wette. Vielleicht sang mich dieses Duett in den Schlaf, denn geschlafen habe ich, obwohl mein junger Mann zu Asche verbrannt war - denn das nächste, an das ich mich erinnere, ist das Entriegeln der Tür.
    Es stellt sich heraus, daß der Anführer der Banditen mich ganz alleine sehen will, und jetzt sind sie gekommen, um mich zu seiner Hütte zu führen. Sie setzten mich an einen grobgezimmerten Tisch vor ein ganz gutes Frühstück aus Sauermilch, Schwarzbrot und Tee. Der Schlaf hatte mich erfrischt, und ich dachte mir: Wo Leben ist, da ist noch Hoffnung. So tauchte ich trotz meiner Trauer das Brot in die Milch und brachte auch etwas hinunter. Er zog derweil an den Enden seines Schnurrbarts, die in dünnen Strähnen von seiner Oberlippe zu seinem Adamsapfel herabbaumelten, und unterzog mich einer durchdringenden Prüfung mit seinen dicht beieinanderstehenden, aber nicht in sich boshaften Augen.
    Ich muß eine groteske Figur abgegeben haben, aufgeputzt in den Resten meines Hauskleids, das mir nie gestanden hat, nicht mal als es neu war, als Jux mal bei Swan & Edgar’s gekauft. Ohne Unterrock. Mit einer toga-artig um mich herumgewickelten Decke. Seine Manieren hatten jedoch die ganze Würde der Armen - er fragte mich nicht nach meinen Federn, obwohl man sehen konnte, daß er sie zu gern gesehen hätte, aber er wußte, das wäre ungehörig.
    »Nun seid Ihr in Transbaikalien, wo die Flüsse bis auf den Grund gefrieren und die Fische wie Fliegen im Bernstein umschließen«, verkündete er. Wie man weiß, hab ich eine Begabung für fremde Sprachen, fliegen mir zu wie Flöhe, und obwohl sein Russisch nicht das von St. Petersburg war, konnte ich ihm ganz gut folgen und auch selbst mein Scherflein beisteuern.
    »Freut mich außerordentlich«, sagte ich.
    »Willkommen bei der Bruderschaft der Freien Männer.«
    »Bruderschaft«, wie? Ich bin kein Mann, und bin auch nicht dein Bruder! Seine brüderliche Begrüßung schmeckt mir nicht halb so gut wie sein Frühstück, und ich grinse ihn böse an, was er aber nicht zur Kenntnis nimmt - er fährt rasch fort:
    »Wir sind, Madame, weder Gefangene noch Exilanten noch Siedler, obwohl unsere Reihen gelegentlich Männer aus all diesen Gruppen aufgenommen haben. Wir leben außerhalb eines Gesetzes, das uns kein Erbarmen zeigt, und wir beweisen durch unsere Leben und Taten, wie die wilde Existenz in den Wäldern denen Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit bringen kann, die den Preis der Heimatlosigkeit entrichten, der Gefahr und des Todes. Schwerter sind unsere einzigen Schwestern, und unsere Frauen sind nunmehr die Gewehre, mit denen wir treu jede Nacht das Lager teilen und die wir eifersüchtig nie aus den Augen lassen. Wir gehen so freudig in den Tod wie zu unserer Hochzeit.«
    Ich stehe dem Geist dieser Rede grundsätzlich nicht ohne Sympathie gegenüber, doch die Einzelheiten müßten etwas genauer durchdacht werden, meine ich. »Schwerter als Schwestern, Gewehre als Frauen«, tatsächlich? Was für eine Art Verkehr ist denn das? Und jeder mit einem Funken Verstand würde eher in die Ehe wie zum Galgen gehen als umgekehrt. Dieser Bursche bringt seine

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