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Nächte im Zirkus

Nächte im Zirkus

Titel: Nächte im Zirkus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angela Carter
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Metaphern durcheinander, wie ein Säufer seine Getränke mischt, und wird wahrscheinlich genauso besoffen davon. Außerdem scheint es mir, als ließe sich diese kleine Rede schön vertonen, für Blech und Trommeln, und ein Männerchor könnte auch nichts schaden. Trotzdem, auch wenn er uns entführt hat, insgesamt bin ich im Augenblick eher für als gegen ihn.
    »Nur die Katastrophe«, fährt er fort, »kann einen Mann in dies entlegene Gebiet führen.«
    Aber bin ich nicht der lebende Beweis dafür, daß auch die Frau nicht freiwillig hier auftaucht? Um meine Gereiztheit zu verbergen, bitte ich um ein frisches Glas Tee. Dieser Bitte gibt er höflich statt, unter einem Klirren und Klappern seiner Waffen, denn neben dem Gewehr, das griffbereit an den Tisch gelehnt ist, hatte er ein Paar Pistolen im Gürtel und über seinem Kaftan kreuzten sich Patronengurte. Zur Vervollständigung seines Ensembles trug er ein breites Schwert von türkischem Aussehen. Es war die Ausrüstung eines demonstrativ wilden Mannes, schön ergänzt durch die ungezähmte Energie seines Schnurrbarts. Wenn sein Habit auch etwas nach den Banditen einer komischen Oper aussah, dann wohl eher, weil die Bühne seinesgleichen nachahmte, nicht umgekehrt, und sein Gewehr war sicherlich kein bloßes Requisit, wenn es auch alt genug aussah, um schon im Krimkrieg mitgewirkt zu haben.
    »Jeder Mann hier, selbst den ersten Feuerjungen eingeschlossen, ist hier, weil die Flucht vor dem Gesetz ihn hierhergebracht hat - ein Gesetz, das zu bestrafen sucht für die Rache, die wir an den kleinen Beamten, den Armeeoffizieren, den Gutsbesitzern und solcherlei niederen Tyrannen genommen haben, die unseren Schwestern, Frauen und Geliebten aus Fleisch und Blut, wie wir sie alle einst hatten, mit Gewalt die Ehre geraubt haben, ihnen, die nun fern von uns sind.«
    Das also ist der Platz der Frauen in diesem Libretto! Ferne Freundinnen!
    »Was soll das heißen, die Ehre geraubt?« sage ich und fische angewidert eine tote Fliege aus meinem Tee, aber es ist zu kalt dort für Fliegen, nur ein Teeblatt, zu meiner Erleichterung. Ich komme wieder auf die Entehrungs-Frage zurück.
    »Worin liegt die Ehre einer Frau, mein Alter? In ihrer Vagina oder in ihrem Bewußtsein?«
    Und diese markige Rätselfrage würde sich vertont auch gar nicht schlecht anhören. Trotzdem machte sie ihm Mühe, obwohl es auch die Tatsache, daß ich ein unanständiges Wort in den Mund genommen hatte, gewesen sein mochte, was ihn kurze Zeit lang verstummen ließ. Er saugte seine Schnurrbartzöpfchen in den Mund und kaute nachdrücklich darauf herum; ungewohnt für ihn, daß man seine Ansichten in Frage stellte.
    »Ich persönlich bin der Meinung«, fügte ich hinzu, »daß eine Frau immer ihre Vergewaltiger selbst erschießen sollte.«
    Und ich warf einen so besitzergreifenden Blick auf das Gewehr, daß es ihn wohl - sollte er irgend etwas in dieser Art im Hinterkopf gehabt haben - auf andere Gedanken brachte.
    »Meine Jungs waren es«, sagte er (da er offensichtlich diese Frage nicht länger erörtern wollte), »die die Gleise gesprengt haben.«
    »Hervorragend!« sage ich ironisch. »Raffinierter Schachzug! Einen Zirkuszug in die Luft jagen! Was für eine Strategie soll denn da dahinter sein?«
    Und dann, ach! der unschuldige großherzige starke Dummkopf, da liefen seine Augen über mit dicken Tränen, und er warf den Tisch zur Seite, wobei er in seinem Enthusiasmus die Reste meines noch kaum beendeten Frühstücks umschmiß, damit er vor mir auf die Knie fallen und seine große Arie anstimmen konnte.
    »Bemerkenswerte Dame von jenseits der Berge und jenseits des fernen Meeres! Es ist wohlbekannt, daß der Zar, das Väterchen aller Russen, es nie zulassen würde - wüßte er nur, was vor sich geht! -, daß ehrliche Bauern wie wir vom Pflug getrieben werden und wie die Tiere weit von zu Hause weg außerhalb des Gesetzes leben müssen, nur weil wir getan haben, was auch er tun würde, wenn die Entehrung das Mütterchen oder eines seiner kostbaren Mädchen bedrohen würde.
    Als wir zuletzt den Bahnhof in R. ausgeraubt haben, nahmen wir die Zeitungen mit, um zu sehen, ob Geschichten über uns darin zu finden sind, und wir haben gelesen, wie Ihr, die berühmte Trapezkünstlerin, das geflügelte Wunder, der britische Engel, intim mit der Königlichen Familie Englands -«
    Verfluchter Colonel mit seinen Werbegags!
    »- durch Transbaikalien kommen würdet, auf dem Weg zum Ozean, wo Ihr ins Drachenland gehen

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