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Nächte im Zirkus

Nächte im Zirkus

Titel: Nächte im Zirkus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angela Carter
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mehr weinen sie, als ob sich das wieder nach außen zwängte, was sie in sich aufnehmen, und wenn wir sie nicht trösten, irgendwie, dann, glaubt der Flüchtling, ist es sehr wahrscheinlich, daß sie zu ihren Gewehren greifen und Schluß machen. Das wär’s. Gute Nacht. Finito.
    Doch er hat noch mehr Neuigkeiten. Wie es scheint, ist er einer Gruppe von Frauen begegnet, die ins Innere des Landes zogen, von denen alle aus einer Anstalt für wahnsinnige Verbrecherinnen ausgebrochen waren, hier in der Nähe, wobei sie die Direktorin hinter sich eingeschlossen hatten, hochverdient, nach dem, was sie sagten. Diese Frauen hatten den Plan, ein weibliches Utopia in der Taiga zu errichten, und baten den Flüchtling um einen Gefallen: Er solle ihnen doch ein, zwei Gläser Sperma überlassen, das - bei den ungastlichen Temperaturen dieser Region rasch gefroren - in einem Spezial-Eiskübel, den sie dabei hatten, wie in einer enormen Thermosflasche gelagert werden konnte, damit sie es dann, wenn sie sich niedergelassen haben würden, anwenden könnten - so daß durch die Schwängerung derjenigen unter ihnen, die im Gebäralter waren, der Bestand dieser kleinen Republik freier Frauen gesichert wäre. Dieser Bitte hatte er gerne entsprochen. Man sah es ihm an, daß er ein vollendeter Gentleman war.
    »Was machen sie denn mit den männlichen Babys? Verfüttern sie die an die Eisbären? Die Eisbärinnen?« fragte Liz, die in einer aggressiven Stimmung war und sich offenbar wie zu Hause in Whitechapel bei einer Sitzung des Godwin-and-Wollstonecraft-Debattierclubs vorkam. Ich brachte sie zum Schweigen. Die Erwähnung dieses patenten Eiskübels erregte meine Neugier.
    »Ich fragte sie, woher sie das hätten«, sagte der Flüchtling. »Sie antworteten, er sei aus dem Speisewagen eines entgleisten Zuges der Transsibirischen Eisenbahn.«
    Der Colonel brach zusammen, als er vom Schicksal seiner Elefanten erfuhr: wie die Frauen sie leblos wie eine lange Reihe umgekippter Möbelwagen um die Geleise hatten liegen sehen, und er wehrte seine Tränen nur dadurch ab, daß er sich wieder und wieder in seine kleinen amerikanischen Flaggen aus Seide schneuzte, von denen er anscheinend einen unerschöpflichen Vorrat bei sich trug. Ich aber drängte den Flüchtling, ob er keine Nachricht von menschlichen Überlebenden habe, und - lieber Gott! - es stellte sich heraus, daß die Frauen einen blonden Ausländer fanden, der in Tischtücher versunken nicht einen Kratzer abbekommen hatte, den sie aber zurückließen, als sie einen Rettungstrupp nahen sahen. Zum Zeitpunkt ihres Zusammentreffens mit dem Flüchtling bedauerten sie es bereits, ein so überzeugendes Samenreservoir nicht mitgenommen zu haben. Ich war von meinen Gefühlen überwältigt, als ich all das hörte. Ich vergaß mich soweit, zu rufen:
    »Mein junger Mann kommt und rettet uns!«
    »Wohl kaum, du sentimentales Kalb, hört sich an, als ob er sich kaum selber retten kann«, sagte Lizzie. »Da klingt mir der Rettungstrupp schon besser!«
    Doch es stellt sich heraus, daß der Flüchtling in erster Linie vor dem Rettungstrupp flieht, weil der ihn gleich in die Strafkolonie zurück retten würde. Und auch die Banditen sollten sich am besten rasch auf die Socken machen, oder man würde ihnen einige unangenehme Fragen stellen, wenn Feuerwehr, Krankenwagen und Polizei am Tatort einträfen.
    Der Colonel aber ist ganz aus dem Häuschen vor strahlendem Glück. Ich kann ihm ansehen, daß er bereits die balkendicken Überschriften in allen Zeitungen plant - wartet nur, bis er einen Telegraphen erreicht! Er kalkuliert, daß diese Katastrophe ihn so oder so reich machen wird. Sein Optimismus hat etwas Unerbittliches, er sieht nur den Silberstreif und nie den Horizont, und seine plötzliche Explosion erneuter guter Laune (er stößt eine Reihe indianischer Kriegsschreie aus und tanzt durch die Hütte), sein Überschwang bringt mich wieder auf den Boden der Tatsachen zurück, denn was auch immer als nächstes geschehen wird, wir sitzen im Augenblick tief im Wald in einer Schneewehe fest, umgeben von sturzbetrunkenen und schwerbewaffneten Briganten, denen der Finger am Abzug sehr locker sitzt und die wir nun überzeugen müssen, daß sie uns in ihrem eigenen Interesse freilassen müssen, um rasch davonzulaufen.
    »Also, Jungs«, sagt Lizzie zu den Clowns, »die Zeit ist da, wo ihr mal eure Lethargie abschütteln müßt. Ihr müßt für unsere Gastgeber hier eine solche Show hinlegen, daß sie aufwachen und

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