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Nächte im Zirkus

Nächte im Zirkus

Titel: Nächte im Zirkus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angela Carter
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daß man vernünftig mit ihnen reden kann. Bringt sie zum Lachen, dann können sie uns zuhören. Bringt sie wieder zum Leben, Jungs.«
    Vielleicht war diese Wortwahl etwas unglücklich, da sie die Clowns an ihre alte Begräbnis-Nummer erinnerte, die sie nun nie wieder aufführen würden. Zuerst hielten sie gar nichts von Lizzies Idee, denn ohne Buffo, ohne ihre gesamten Requisiten, nur mit den Lumpen, die sie am Leibe hatten, und mit der Geige, dem Tamburin und dem Triangel, da sahen sie sich nicht in Hochform auftreten, wenn auch ihre Kartentricks bei dem Feuerjungen ein großer Erfolg gewesen waren.
    »Nehmt es«, bat Lizzie, »als Requiem für Buffo.«
    Da warfen sie sich alle einen Blick zu, einen seltsamen, dunklen, traurigen Blick, der - wäre er ein Klang gewesen - in langen Echos um sie verhallt wäre, wie die Töne einer feierlichen Orgel in einer großen Kathedrale. Als die letzten Echos dieses Blicks, dieser unausgesprochenen Botschaft, dieser stummen Bestätigung einer uns unbekannten Absicht erstarben, da nimmt der alte Grok sein Triangel auf und tritt dagegen, und Grik zieht die kleine Geige aus dem Hut. Ich kann nicht sagen, daß es mir besonders gefällt, als sie nun den Trauermarsch aus »Saul« anstimmen, ich habe wieder dieses Schritte-über-mein-Grab-Gefühl, das mir anzeigt: Es geht etwas vor. Aber es ist ein Anfang. Ein rothaariger August nimmt schließlich ein Holzscheit und zieht es einem Zwerg über. Der Feuerjunge bricht vor Lachen zusammen. Ich öffne die Tür, und sie marschieren hinaus.
    Die Banditen hatten genügend Energie aufgebracht, mitten im Lager ein Feuer anzuzünden, und saßen alle ringsumher auf Baumstümpfen, in der Haltung von Rodins Denker. Ein leichter Schneefall; Schnee ruhte auf ihren Köpfen. Die Clowns hatten ihren Anführer verloren, so daß sie ein wenig Zeit brauchten, um sich zu entscheiden, was nun zu tun war. Einer schlug eher nebenher ein paar Räder, bis ihm ein anderer ein Bein stellte, und da - denn das waren sehr einfache Menschen - flackerte ein Lächeln über die Wangen des Banditenhäuptlings. Dies schien die Clowns zu ermutigen, sie faßten sich ein Herz, oder es fand doch irgendein Entschluß statt, denn sie stellten sich alle auf, Griks und Groks Musik wurde rhythmischer, und sie fingen an zu tanzen.
    Doch was für eine Melodie spielten sie? Ich konnte ihr keinen Namen geben, unheimliche Töne von einem Hexensabbat. Und ihr Tanzen - war »Tanzen« das richtige Wort? Nichts an diesem Tanz stimmte fröhlich. Mein Gott, dachte ich, was für Narren wir sind - hast du selbst denn je, Fevvers, über einen Clown gelacht, jemals? Haben die Clowns dich nicht stets an die Auflösung von allem gemahnt, an Katastrophe und Tod?
    Dieser Tanz war der Totentanz, und sie tanzten ihn für George Buffins, damit sie werden sollten wie er. Sie tanzten ihn für die Verdammten der Erde, daß sie ihre eigene Verdammnis begreifen mochten. Sie tanzten den Tanz der Ausgestoßenen für die Ausgestoßenen, die sie beobachteten, unter den drohend sich wölbenden Bäumen, unter dem aufziehenden Schneesturm. Und einer nach dem anderen hoben die Ausgestoßenen, die Banditen den Kopf, um zu schauen, und alle brachen wahrlich in ein Gelächter aus, aber es war ein freudloses Lachen. Es war das bittere Lachen, das man lacht, wenn man erkennt, daß das Schicksal sich nicht besiegen läßt. Als wir diese unfrohen Arabesken der Verdammten sahen und das Lachen derer hörten, die in diesen Höllenkreisen gefangen saßen, nahmen Liz und ich uns bei der Hand.
    Sie tanzten die Nacht in die Lichtung herein, und die Banditen hießen sie mit Jubel willkommen. Sie tanzten den verwirrten Geist ihres Meisters, der mit einem starken Windstoß herbeikam und allen kalt wie der Tod ins Mark blies. Sie tanzten, wie alles wirbelnd zerging, das Ende der Liebe, das Ende der Hoffnung; sie tanzten das Morgen zum Gestern; sie tanzten die Erschöpfung der unerbittlichen Gegenwart; sie tanzten den Totentanz der vollendeten Vergangenheit, die alles festnagelt, daß es sich nicht mehr regen kann, sie tanzten den Tanz des Alten Adam, der die Welt zerstört, weil wir glauben, er ist unsterblich.
    Die Ausgestoßenen machten voll Begeisterung mit. Mit Hurra und Bravo sprangen sie alle auf und warfen sich in die wilde Gavotte, ihre Gewehre abfeuernd. Der Schnee schlug nasse weiße Tücher in unsere Gesichter, und der Wind nahm die entsetzliche Musik der alten Clowns auf und verstärkte sie, daß man glaubte, verrückt zu

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