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Nächte im Zirkus

Nächte im Zirkus

Titel: Nächte im Zirkus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angela Carter
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da - keine Stars and Stripes entrollten sich im duftenden Qualm der Schamanenhütte, mit seinem Messingbett, dem Samowar, dem Amulettbeutel und dem Bären mit den Ohrringen, der sich vor dem Feuer die Achselhöhlen kratzte. Der Schamane war damit beschäftigt, die Trommel fertigzumachen. Ein Topf Trockenfisch blubberte vor sich hin, fürs Abendessen köchelnd und die reichen Düfte von Mensch und Tier um einen Gestank vermehrend wie die Schlüpfer einer Nutte.
    »Die Schlüpfer einer Nutte«, sagte Walser nachdenklich vor sich hin. »Die Schlüpfer einer Nutte...«
    Je mehr Walser aus dem Lumpensack seiner Erinnerung zog (wobei er nicht wußte, daß es Erinnerungen waren) und zu einem bunten Patchwork zusammensetzte, desto unwahrscheinlicher wirkte es. Er saß in der Ecke und grübelte über all das nach, bis der Schamane ihn aus seinem Tagtraum rüttelte, um ihn zu unterrichten.
    Die Lektionen bestanden in
    a) Taschenspielerkünsten, Illusionismus - die Fähigkeit, Kiesel, Stöckchen, Spinnen oder (wenn es das gerade gab) Jungmäuse an sich zu verbergen und sie im Verlauf einer Diagnose oder Operation hervorzuholen;
    b) Bauchreden - das Hervorbringen einer hohen, quietschenden Stimme der besonderen Art, die man mit den Stimmen der Geister in Verbindung brachte, und das »Werfen« der Stimme, damit sie aus dem Patienten selbst hervorzudringen schien, oder aus dem Feuer, oder aus der Schnauze des Bärenjungen mit den Ohrringen oder dem geschnitzten Munde eines Idols in der Götterhütte;
    c) schließlich in der Fähigkeit, unglaublich feierlich und ernst dreinzusehen, als besäße er ein Wissen, das gewöhnlichen Sterblichen verborgen war.
    Man hüte sich jedoch vor dem Irrtum, der Schamane wäre nur ein Schwindler, der sich in Walsers Serie »Große Schwindler der Welt« gut gemacht hätte, wenn der noch nach Kandidaten gesucht hätte. Der Schamane war sicherlich kein Schwindler. Er übte die erlesenste Form des Betrugs aus - die anderen vertrauten ihm wegen seines eigenen totalen Vertrauens in die eigene Integrität. Er war Arzt und Geburtshelfer des Dorfes, Traumdeuter und Prophet, der Intellektuelle und der Philosoph dazu; er leitete die Hochzeiten und Beerdigungen. Außerdem verhandelte er mit jenen Naturkräften und deutete ihre Zeichen, welche sein Stamm in seinen verletzlichen Lebensumständen besonders genau beobachten mußte.
    Doch wenn auch der Schamane genau wissen mochte, daß ein böser Geist in der Form beispielsweise einer Maus den, sagen wir einmal, Durchfall eines Patienten verursachte, so ließ sich der Patient selbst nur durch den Augenschein überzeugen und schiß solange weiter, bis man ihm die hypothetische Maus aus dem Anus holte. Die Geister nahmen unglücklicherweise nur für den Schamanen sichtbare Formen an, so daß er sich, um seine Klienten zufriedenzustellen, mit körperlichen Imitaten dieser boshaften Formen ausrüsten mußte, und dann konnte man sehen, wie er sie austrieb. (»Was man sieht, muß man glauben.«)
    Auch Hören hieß Glauben. Der Schamane hörte die Idole in der Götterhütte klar und deutlich sprechen und lauschte gespannt den Stimmen des Windes, doch auch die, welche nicht so scharfe Ohren hatten, mußten überzeugt werden, aufzumerken.
    Der feierliche Blick war die Voraussetzung des Ganzen. Wer würde einem grinsenden Schamanen glauben?
    Und wenn einmal der Stamm aufhörte, an die Kräfte des Schamanen zu glauben, so war er arbeitslos. Sie hätten sogar anfangen können, zu vermuten, er sei nicht ganz bei sich. Oder schlimmeres, denn einige seiner Gewohnheiten wären - hätte die Tradition sie nicht geheiligt - geradezu pervers erschienen. Und am schlimmsten: Wenn sie aufhörten, an ihn zu glauben, hätte man von dem Schamanen vielleicht sogar erwartet, daß er sich - da seien die Geister vor! - mit produktiver Arbeit abgebe, mit der Mühsal des Jagens, Bogenschießens, Fischens und dem sporadischen Anbau später Gerste, mit der Arbeit, mit welcher sich seine Nachbarn plagten und von deren Überschuß er im Augenblick recht bequem lebte, in Naturalien bezahlt von dankbaren Patienten oder jenen, deren Träume er mit glücklicher Genauigkeit gedeutet hatte.
    Er hatte die feste Absicht, daß Walser, das Waisenkind, zu dem ihn die Geister in den Wäldern geleitet hatten, der kleine Vogel, aus einem Ei geschlüpft, dessen Schalen genauso verschwunden waren wie die Himmelswiege des Bärenjungen - er hatte die Absicht, daß Walser, sein Adoptivsohn, eines Tages die ganze

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