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Nächte im Zirkus

Nächte im Zirkus

Titel: Nächte im Zirkus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angela Carter
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sie nicht ertragen. Und da sie ohne testamentarische Verfügung gestorben war, fiel alles ganz legal an diesen überlebenden Verwandten. An den so strengen älteren Bruder (Ironie des Schicksals), der sie mit seinem steinernen Herzen aus dem Haus gejagt hatte, als sie als Mädchen zuerst gestrauchelt war, und so ihren Ruin besiegelte - so gesehen; anders betrachtet: ihr Glück.
    Gibt es keine Gerechtigkeit im Himmel oder auf Erden? Anscheinend nicht. Denn eben dieser grausame und unnatürliche Bruder kam nun an, gesetzlich dazu berechtigt, sie postum auszuplündern, und wenn wir nicht schon aus der Haushaltskasse den Grabstein bezahlt hätten -«
    »- als Inschrift haben wir ›Im sicheren Hafen‹ gewählt -«
    »- dann hätte er schon dafür gesorgt, daß diese gute, anständige, gütige Frau in die Erde zurückgekehrt wäre, aus der sie geboren worden war, ohne daß auch nur ein Kieselstein an ihren Lebensweg erinnert hätte.
    Er ertrug den Anblick nicht, wie wir dasaßen und ein Essen verzehrten, das, wie er meinte, ihm gehörte. Er warf die Pasteten um und verschüttete den ganzen alten Port von Mutter Nelson auf die Teppiche, den wir aus dem Keller geholt hatten. Und er verkündet: unsere Zeit ist um, er gibt uns in seiner Herzensgüte bis morgen früh um neun, um aufzubrechen und uns mit Sack und Pack zu verziehen. Das einzige Heim zu verlassen, das wir je hatten, und auf die Straße hinauszugehen. So wollte er ›den Tempel von den Gottlosen säubern‹, obwohl er gnädig genug war, anzudeuten, daß Gott auf diejenigen von uns möglicherweise herniederlächeln würde, die sich zur Reue bereitfinden und bleiben würden - denn als Instrument der ausgleichenden Gerechtigkeit beabsichtigte er, aus seinem Erbe ein Heim für gefallene Mädchen zu machen, und er dachte sich, eine reuige Metze oder zwei wären da ganz praktisch, der Wilderer als Feldschütz sozusagen.«
    »Aber keine von uns wollte diesen Wärterinnenposten, den er ausbot. Nein danke!«
    »Nachdem er sich in einer Kutsche in sein Pfarrhaus in Deptford verzogen hatte, berieten wir zusammen unsere Zukunft, die nun voraussichtlich keine gemeinsame mehr sein würde. Obwohl wir das betrauerten, trieb uns nun die Notwendigkeit auseinander, die uns einst zusammengeführt hatte, und so beugten wir uns der Notwendigkeit, wie wir alle es tun müssen, wenn auch die unsichtbaren Bande der Zuneigung uns immer verbinden würden, wohin unsere Wanderungen uns auch führen mochten.
    Die unerwartete Krise fand unsere Freundinnen jedoch nicht völlig unvorbereitet. Sie erinnern sich, daß Mutter Nelson wußte: die großen Tage des alten Hurenhauses waren gezählt, und die Mitglieder ihrer Akademie immer drängte, sich für die weite Welt vorzubereiten.
    Louisa und Emily hatten sich in jener engen Verbindung aneinander angeschlossen, welche Frauen in diesem Geschäft oft mit dessen Härten versöhnt, und lang vor dem Heimgang von Mutter Nelson hatten sie beschlossen, sich früh vom Beruf zurückzuziehen, wenn sie genügend gespart haben würden, um eine kleine Pension im Seebad Brighton aufzumachen. Lange hatten sie sich sehnsüchtig mit diesem Plan beschäftigt, und oft vertrieben sie sich die Zeit, während irgendein Dreckskerl mit seinem unbeholfenen Gerät in ihnen herumfuhrwerkte, indem sie überlegten, ob die Kissenbezüge schlicht oder spitzenbesetzt sein sollten oder wie sie das Eßzimmer tapezieren würden. Obwohl der plötzliche Abbruch unserer Verträge diese umsichtigen Mädchen zwang, ihr Abenteuer mit etwas weniger Kapital zu beginnen, als eigentlich wünschenswert gewesen wäre, überprüften sie sofort ihre Sparbücher und schworen: nur wer wagt, gewinnt! worauf sie gleich nach oben gingen, ihre Koffer zu packen, um am nächsten Tag nach Süden an die Küste zu fahren und die Suche nach einem passenden bescheidenen Haus zu beginnen.
    Annie und Grace hatten auch ein wenig gespart und entschieden sich nun, ihr Geld zusammenzulegen und damit eine kleine Agentur für Schreib- und Büroarbeiten zu eröffnen, denn Grace konnte auf ihren Schreibmaschinentasten klappern wie mit Kastagnetten, und Annie hatte so einen Kopf für Zahlen, daß sie seit Jahren Mutter Nelsons Buchhaltung fein säuberlich geführt hatte. Also packten auch die beiden ihre Sachen und würden am nächsten Morgen irgendwo zur Untermiete einziehen und passende Büroräume suchen. Und ich darf Ihnen auch sagen, Sir, daß diese Mädchen erfreulicherweise durch harte Arbeit und gute Planung

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