Nächte im Zirkus
weit gekommen sind.
Aber unsere Jenny, die war zwar die hübscheste und warmherzigste Hure, die je über den Piccadilly gelaufen ist, aber irgendein besonderes Talent besaß sie nicht, und nie hatte sie einen Penny gespart - alles den Bettlern gegeben. Ihr einziges Kapital war ihre Haut, und jetzt das Begräbnis und der Hinauswurf und ein wenig zu viel von Mutter Nelsons Port: Da fing sie an zu weinen: ›Was soll aus mir werden?‹ Denn allein sich durchzuschlagen, schien ihr nach der Sicherheit und Kameradschaft der Akademie allzu schlimm. Und wie wir sie noch trösteten und ihr die Augen trockneten, klopft es poch! poch! poch! an der Türe, und siehe da, es ist der Telegrammbote. Und was haben ihr die singenden Drähte gebracht? Na, einen Ehemann! Denn die Botschaft lautet: ›Ein Tod zieht den anderen nach sich, wird jedenfalls behauptet, und meine Frau hat soeben Anker im selben Hafen geworfen wie der Admiral.‹ (Er hat Mutter Nelson immer den Admiral genannt.) ›Liebste Jennifer, sei nun mein vor den Augen Gottes und der Menschen! Gezeichnet: Graf -‹.«
»Rotz«, warf Lizzie mit bleiern-ironischer Diskretion dazwischen.
»Graf Rotz«, stimmte Fevvers nachdenklich zu. »So wollen wir ihn nennen, denn Sie wären höchst überrascht, Sir, wenn ich Einen seinen Namen sagte und Sie sähen ihn im Adelskalender nach. Nun sagt man aber wiederum auch, daß nach zwei Todesfällen unweigerlich der dritte folgt. Sie haben also geheiratet, und es war eine höchst elegante Angelegenheit in St. John’s, Smith Square, sie in Altweiß, weil er allen gesagt hat, es handelt sich um eine Witwe aus der Provinz. Und nachher beim Empfang im Savoy nur das Beste vom Besten -«
»- und er erstickt an der bombe surprise «, sagte Lizzie mit einem abrupten scharfen Gackern, wofür Fevvers sie einen Moment vorwurfsvoll ansah.
»Und so erbte sie dreißigtausend pro Jahr, einen Landsitz in Yorkshire, noch einen in Schottland, und ein sehr hübsches Haus am Eaton Square obendrein. Und unser kleines Häschen hätte prächtig leben können im allergrünsten Klee, wenn sie nicht eine sentimentale Seele gewesen wäre und recht sehr um den Seligen getrauert hätte, da sie als alte Optimistin sich auf ein langes und glückliches Leben mit dem Burschen gefreut hatte.«
»Nur eine Hure«, verkündete Lizzie mit plötzlichem Nachdruck, »konnte sich so viel von der Ehe erwarten.«
»Schwarz stand unserer Jenny gut, weil sie rothaarig ist, und in ihrer Trauer beschloß sie, ein wenig nach Monte Carlo zu gehen und ihr Glück zu versuchen - daheim war trübes Novemberwetter, und wenn sie eine Schwäche hatte, dann war es das Spiel. Da sitzt sie also am Spieltisch, in einem schwarzen Kostüm von Worth, nur mit den zurückhaltendsten witwenhaftesten Diamanten -«
»- als sie bemerkt, daß ein Gentleman aus Chicago sie betrachtet, der Nähmaschinen herstellt -«
»Sie meinen doch nicht -«, entfuhr es Walser.
»Genau der.«
Walser klopfte abwesend mit der Spitze des Bleistifts gegen seine Zähne: Nun hatte er die erste überprüfbare Tatsache von ihr bekommen, und die konnte er nicht überprüfen. Die dritte Mrs. ---- per Telegramm fragen, ob sie je in einem Bordell bei einer einäugigen Hure namens Nelson gearbeitet hatte? Aus geringfügigeren Anlässen hatte man schon Leichen gefunden.
Fevvers und Lizzie seufzten nun unisono.
»Wie man hört, fühlt sich dieser Gatte Nr. 2 in letzter Zeit gar nicht mehr so extra. Armes Mädel, man fragt sich«, intonierte Lizzie mit Pokergesicht, »ob seine ganzen Millionen sie über ihren Verlust hinwegtrösten können.«
Fevvers ließ ihr linkes Lid kurz über ihr linkes Auge hinabgleiten.
»Und Esmeralda«, hob Fevvers wieder an, »die hatte so tapfer auf ihrer Flöte gedudelt, daß einer der Stammkunden von Mutter Nelson, ein Herr aus der Theaterbranche, den sie gut kannte, diesen höchst angemessenen Moment wählte, um ihr per Eilboten mitzuteilen, daß er sie für eine Nummer gebucht hat, wo sie als Schlangenbeschwörerin eine Schlange aus einem Waschkorb aufsteigen läßt - die Schlange ist, wie sich herausstellt, ein junger Mann von hübschem Aussehen und beinahe übernatürlicher körperlicher Agilität, auf der Bühne als Der Menschliche Aal bekannt. Esmeralda tritt in einem Tigerfell und griechischen Sandalen auf. So stellt sich ihr Instrument als Zauberflöte heraus und mit dieser überaus künstlerischen Darbietung hat sie ganz Großbritannien und Europa unter großem Beifall bereist.
Und
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