Nächte im Zirkus
Diener, Toussaint, mit einer ganz sanften Bewegung die Hand vor die Augen, und als er sie wieder wegnimmt, ist Madame Schreck aufgestanden und steht angekleidet vor mir, in ihrem schwarzen Kleid und einem dichten Schleier, wie ihn eine spanische Witwe trägt, der bis zu ihren Knien reicht - und mit ihren Handschuhen, alles stimmt.
Nun glauben Sie nicht, Mr. Walser, daß ich eine ängstliche Frau bin, aber obwohl ich recht gut wußte, daß alles nur Theater war - die schwarze Kutsche, der Stumme, die Gefängniskühle trotz allem war etwas Unheimliches an ihr, über die Illusion hinaus, das einen denken ließ: vielleicht fände man unter ihren düsteren Kleidungsstücken nichts als eine Art böser Marionette, die ihre eigenen Fäden zieht.
›Fort mit dir!‹ sagt sie. Aber ich dachte an meine kleinen Neffen und Nichten, die in eben diesem Augenblick Lizzie umkrähen würden und was zum Frühstück haben wollten, wo wir uns doch das Letzte, was im Haus war, gestern beim Abendessen geteilt hatten - und ich rief: ›Wie wär’s mit einem kleinen Vorschuß, Madame Schreck? Oder ich fliege gleich durch den Kamin davon, und Sie sehen mich nicht wieder.‹ Und ich lief zum Kamin hinüber, der noch nie im Leben ein Scheit Holz hat brennen sehen, und schob den Kaminschirm zur Seite, bereit, mein Versprechen wahrzumachen.
›Toussaint!‹ sagt sie. ›Laß sofort jemand kommen, der alle Schornsteine blockiert!‹ Aber als ich anfange, die Feuerböcke wild klirrend durcheinanderzuwerfen, sagt sie widerwillig: ›Nun gut‹, tastet unter ihrem Kissen nach einem Schlüssel, achtet wohl darauf, daß sie direkt zwischen mir und dem Safe steht und ich die Kombination nicht entziffern kann, und schon schwingt die Tür auf. Aladins Schatzhöhle! Der Inhalt des Safes leuchtete in seinem eigenen Glanz, Säulen hinter Säulen goldener Sovereigns, ein Kronschatz von Diamantenhalsbändern und Perlen, Rubinen, Smaragden, aufgehäuft, wie es gerade kam, zwischen Wechseln, Aktien, für verfallen erklärten Hypotheken und dergleichen mehr. Mit äußerstem zögerndem Widerwillen wählt sie fünf Sovereigns aus, zählt sie noch einmal und reicht sie mir schließlich mit so peinvoller Langsamkeit hin, als wären es Tropfen ihres Herzbluts.
Wie fuhr ich zusammen, als ich das Kratzen ihrer Fingerspitzen auf meiner Handfläche spürte - denn sie waren wirklich so hart, als wäre kein Fleisch an ihnen. Später, als ich wieder frei war, da hat mir Esmeraldas Mann, der Menschliche Aal, erzählt, daß diese Madame Schreck, wie sie sich nannte, tatsächlich als Lebendes Skelett in der Jahrmarktsbude begonnen hatte und schon immer eine knochige Frau war.
Wie ich aus dem Schlafzimmer hinausgehe, schau ich noch mal über die Schulter, was die Alte jetzt macht, und, Scheiße noch mal, hat sie sich doch richtiggehend in den Safe hineingeworfen und preßt seine Reichtümer mit dem Ausdruck größter Leidenschaft gegen ihre knochige Brust, wobei sie schwache, wiehernde Laute ausstößt.
Ich vertraue Toussaint, der mir sofort sympathisch war, diese Sovereigns an, die er gleich nach Battersea bringen soll, bette meinen Kopf auf das harte flache Kissen und fliehe sofort in den Schlaf - erst nach Stunden, als schon die Nacht kommt, wache ich wieder auf. Das war das kahlste, kargste Zimmer, das man je gesehen hat, mit einem schmalen Eisengitterbett, einem hölzernen Waschtisch und Eisenstangen vor dem Fenster, durch das ich die nackten Bäume in dem verlassenen Garten sehen kann und ein paar Lichter in Häusern auf der anderen Seite des Platzes. Diese Lichter in zufriedenen Heimen zu sehen, das treibt mir die Tränen in die Augen, Sir, denn ich bin in einem Haus, wo kein Licht brennt, kein Licht.
Dann geht mir auf, daß ich vielleicht diesen Ort nie wieder verlassen werde, nachdem ich nun einmal freiwillig hergekommen bin; daß ich mich aus freiem Willen selbst in ein Gefängnis zu den Verlorenen begeben habe, wegen Geld, wenn auch mit gutem Grund; daß nun mein Schicksal besiegelt ist.
In diesem katastrophalen Augenblick geht die Türe auf, ich sehe einen Schatten hinter einer Öllampe, ich fahre aus dem Bett auf und schreie - und der Schatten spricht in breitem Yorkshire-Dialekt: ›Ist doch nur die alte Fanny, Liebes, hab du nur keine Angst!‹
Und ich finde in der Gemeinschaft der Verlorenen meinen einzigen Trost.
Wer hat für Madame Schreck gearbeitet, Sir? Nun, natürlich die Wunder der Natur, wie ich zum Beispiel. Die liebe alte Vier-Augen-Fanny,
Weitere Kostenlose Bücher