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Nächte im Zirkus

Nächte im Zirkus

Titel: Nächte im Zirkus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angela Carter
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fertig und sah neugierig umher, was nun kommen mochte.
    »Also, auf geht’s«, sagte Fevvers. »Auf die Beine mit Ihnen, tragen Sie sie auch schön über die Schwelle. Ich hab Euch ja schließlich die Hochzeitssuite besorgt.«
    Der schrill kichernde Kellner verbeugte sich und öffnete die Tür. Walser erhob sich so würdevoll, wie er es vermochte, zeigte Fevvers sein breitestes Grinsen und bot Mignon seinen unverletzten Arm mit demonstrativer altmodischer Höflichkeit, daß die Riesin mit den Fingern auf die Sessellehne zu trommeln anfing. Mignon sprang noch einmal zurück und hob die Pralinenschachtel auf, die sie bei dem raschen Gang der Ereignisse beinahe vergessen hätte. Eine törichte Fährte von Pralinenpapierchen verstreute sich hinter ihrem Abgang. Als die beiden Frauen allein zurückblieben, warf Lizzie ihr Pamphlet zur Seite und verkündete griesgrämig: »Äußerst komisch! Du erlaubst, daß ich dann nächste Woche lache.«
    In der Hochzeitssuite, einem den Erwartungen entsprechenden Nest aus rosa Seide und vergoldeten Spiegeln, lenkte der Kellner mit grandseigneuraler Geste die Aufmerksamkeit Walsers auf einen roten Rosenstrauß, steife Blumen ohne Duft, die offenbar als spezielle Aufmerksamkeit Fevvers’ neben dem Bett standen, und zog sich dann strahlend, ja, lachglucksend zurück.
    Walsers erster bedauerlicher Impuls war es, sich auf das arme Kind zu werfen und sie zu zwingen, um jemand - es war ihm nicht genau klar, wem - eine Lektion zu erteilen. Aber er war ein anständiger Mann, und der scharfe Schmerz in seinem verletzten Arm, als er Mignon an der Schulter packte, erinnerte ihn daran, daß dies ungerecht wäre, und so ließ er sie los.
    Wenn Mignons Tag auch schlimm begonnen hatte, so kam er doch zu einem guten Ende. Tatsächlich endete er wie ein Wahrheit gewordener Jungmädchentraum, besonders, als sich Walser zurückzog. Und an den Rosen konnte sie sich nicht sattsehen! Sie gurrte auf sie ein, streichelte sie, näherte sich ihnen mit sanften, liebevollen Gesten, schnurrte und umschwebte sie mit solch herzzerreißender unbewußter Anmut, daß Walser - durchaus kein fühlloser Mann - beinahe ein Schluchzen gerührter Ratlosigkeit ausstieß.
    »Ach, Mignon, was fang ich nur mit dir an?«
    Direkt auf Englisch angesprochen zu werden, brachte etwas in jenem merkwürdig wählerisch arbeitenden Organ, ihrem Gedächtnis, zum Erklingen. Sie zog sich das Handtuch vom Kopf und ihr gretchengelbes Haar spritzte in alle Richtungen. Sie lächelte. Dieses Lächeln enthielt ihre ganze Lebensgeschichte und war kaum zu ertragen.
    »God Save the Queen«, sagte sie.
    Walser hielt es nicht mehr aus und stürzte aus dem Zimmer.

VI
    Zwei Dinge sind bis jetzt zusammengekommen, um Walser aus seinem Gleichgewicht zu werfen: Sein rechter Arm ist verletzt, und obwohl er rasch heilt, kann er nicht schreiben, bis es besser geworden ist, so daß er seinen Beruf verloren hat. Deshalb verkleidet für den Augenblick seine Verkleidung - nichts. Er ist nicht länger ein Journalist, der sich als Clown kostümiert hat - ob er will oder nicht, die Gewalt des Zufalls hat ihn in einen richtigen Clown verwandelt, für alle Zwecke, die hier in Betracht kommen, und dazu noch in einen Clown mit dem Arm in der Schlinge: Typ »Verwundeter Krieger«.
    Zum zweiten: Er hat sich verliebt, ein Zustand, der ihm Sorgen macht, weil er ihn noch nicht erlebt hat. Bis jetzt waren Eroberungen leicht zu machen und blieben ansonsten unbeachtet. Aber keine Frau hat, soweit er sich erinnert, bis jetzt versucht, ihn zu demütigen, und das hat Fevvers getan, und zwar mit Erfolg. Dies bringt sein bis dato unerschüttertes Selbstgefühl in Konflikt mit dem Mangel an Achtung, mit welchem die Frau ihn behandelt. Er leidet an dem Gefühl, daß - nicht so sehr, daß die Frau und ihre Gefährtin ihn genarrt haben (er ist immer noch davon überzeugt, daß sie einfallsreiche Schwindler sind, und das wäre nur ein Teil der Story), sondern daß er zu ihrem Narren geworden ist.
    In einem Zustand geistigen Tumults, Konflikts und Richtungsverlustes wandert er durch die eiskalte Nacht der Stadt. Jetzt schaut er auf das Eis hinunter, das sich auf den dunklen Wassern der Newa immer höher türmt, jetzt schaut er mit unklarem Entsetzen zu dem großen Reiterstandbild hinauf, als wäre der Reiter nicht das Denkmal des Stadtgründers, sondern der Herold von vier noch mythischeren Reitern, die in der Tat auch unterwegs sind, Petersburg für immer zu besiegen, doch noch sind sie

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