Nächte im Zirkus
Eigenheiten parodistisch, ironisch, satirisch nutzten. Je mehr der Affen-Mann trank, desto vollständiger ignorierten sie ihn.
Ein Klopfen an der Tür kündigte die Ankunft des Kellners mit den Kelchgläsern an. Fevvers winkte ihm irritiert Schweigen.
»Though the night be made for loving
And the day return too soon
Yet we’ll go no more a-roving
By the light of the moon.«
Dann hörte man das Brausen des Wassers, das aus der Badewanne herausgelassen wurde.
»Sie versteht den Text nicht«, wiederholte Fevvers. Ihr Gesicht war naß vor Tränen. Als er das sah, fühlte Walser eine außerordentliche Empfindung in seiner Brust: Sein Herz schmolz. Er streckte seine Hand nach der Frau aus und spürte das Sprühen eines scharfen Schmerzes in seiner zerkratzten Schulter; schrie auf; merkte, daß auch er weinte. Sie sah ihn an, die nacht-dunklen Augen übergehend, und dieses eine Mal war keine Ironie, keine Bosheit, kein Mißtrauen zwischen ihnen. Sein geschmolzenes Herz strömte aus seiner Brust und strömte zu ihr hinüber wie ein Tropfen Quecksilber zum anderen.
In diesem Moment kam Mignon durch die Badezimmertür zurück.
Sie war in einen fleckenlosen Frotteemantel gehüllt, und ihr frischgewaschenes Haar stak in einem weißen Handtuch. Nun war sie blitzblank sauber und ganz Lächeln, wenn auch immer noch bedeckt von den grünlichen Spuren der Schläge. Sie hielt immer noch die große Papptrommel voller Pralinen unter dem Arm, aber von der obersten Lage war nur ein Häufchen knisternder Papierchen übriggeblieben. Sie schaute ein wenig enttäuscht drein, als Fevvers - die sich die Nase ziemlich unschön mit den Fingern geschneuzt hatte - ihr eine Kinderschüssel mit Brot und Milch hinschob, aber sie wurde wieder fröhlich, als sie den Champagner sah, saß lammfromm am Tisch nieder und begann gehorsam zu futtern.
Fevvers begann nun eine rasche Konferenz mit dem Kellner, an deren Ende sie in ihren Ridikül griff und eine weitere Premierenfreikarte hervorholte; sie mußte genügend Russisch gelernt haben, um einen Witz zu machen, denn der Mann brüllte mit abruptem Gelächter auf, bevor er sich tief verbeugte und verschwand. Lizzie riß schon das Zinnhäubchen von der Flasche. Fevvers stieß in der Runde mit allen Gläsern an. Ihre Augen waren nun ganz trocken und seltsam blaß. Es war mit einem Mal etwas Hartes, Helles und Gefährliches an ihr.
»Wir machen noch eine ehrliche Hure aus ihr!« trank sie auf die Besucherin mit einer Stimme, rauh wie eine Tigerzunge, und Walser erkannte mit nervösem Entzücken, daß sie glaubte, Mignon sei seine Geliebte, und - dem Himmel sei Dank! - von Eifersucht verzehrt wurde. Fevvers leerte ihr Glas auf einen Zug, rülpste und warf es in eine Ecke, wo es zerbrach. Diese Geste schien mehr der Ausdruck von Wut als ein Zugeständnis an die Landessitten.
»Hierher«, befahl sie Walser kurz. »Liz - die Abschminkcreme.«
»Knien Sie nieder, Mister Walser.«
Auf alles gefaßt kniete Walser ihr zu Füßen, um sich zwischen Schenkeln festgehalten zu finden, die es gewohnt waren, ein Trapez zu umklammern. Ein plötzliches Gefühl erotischen Schwindels überlief ihn, und er versuchte, ihre Augen wieder mit seinem Blick zu erreichen, doch sie schaute stetig von ihm weg, während sie seine Perücke herunterriß und sein flach angeklebtes blondes Haar mit einer großen Schwesternhand aufbürstete, kompetent, unpersönlich, gereizt. Dann überschwemmte sie ihn mit der Creme.
»Macht Sie hübscher«, sagte sie. Als er sprechen wollte, stopfte sie ihm eine Handvoll Creme in den Mund. Sie nahm eine Serviette von dem Kellnerwagen und schrubbte seine mattweiße Schminke mit solcher Energie weg, daß er ziegelrot und wie ein Parkett gebohnert zum Vorschein kam. Mignon, die bereits vor Champagner kicherte, nahm sich eine zweite Portion aus der Terrine. Lizzie - aus irgendeinem Grund starr vor Mißbilligung - entzog sich der Szene, holte eine Broschüre oder etwas dergleichen aus ihrer Tasche und versenkte sich in die Lektüre. Fevvers rückte Walsers Krawatte zurecht und musterte ungnädig sein Kostüm.
»Gott, das arme Mädchen! Vom Affenhaus nach Clown Alley! Vom Regen in die Traufe! Wissen Sie nicht, daß ich Clowns inständig hasse, junger Mann? Ich halte sie wirklich für ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit.«
Der Kellner kam nun zurück und stand erwartungsvoll an der Türe. Lizzie blätterte eine Seite um: präzis-scharfes Rascheln der Verstimmtheit. Mignon war mit dem Essen
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