Nächte in Babylon
bedeutungsloseren. Anna und Spandau waren wie jedes frisch verliebte Paar: Sie tasteten sich Hand in Hand durch die Minenfelder der Vergangenheit.
Spandaus Huhn duftete nach Thymian und einem leisen Hauch Lavendel. Annas Lamm wurde in einem Mantel aus gebackenem Lehm serviert, im eigenen Saft geschmort. Als Cotas die Kruste aufschlug, stieg eine Wolke verführerischer Wohlgerüche auf. Verzückt ließen sie einander kosten und schwelgten in ihrer Begeisterung. Spandau musste Anna recht geben. Es war wie Sex. Ihr Glück war ansteckend, und es erregte ihn, ihr zuzusehen. Sie aß genauso, wie sie liebte: erst bedächtig und scheu, fast übertrieben zurückhaltend, bis die Sinnenfreude sie überwältigte. Hinter ihrer selbstbewussten Fassade war sie ein Mensch, der Zeit brauchte, um Vertrauen zu fassen und sich in Neues hineinzufinden. Dann kam die Leidenschaft.
»Weißt du, was Elizabeth Taylor mal gesagt hat?« Sie trank ein Schlückchen Rosé, sah Spandau tief in die Augen und lächelte wie ein heimlich verknalltes Schulmädchen. »Das Aufregendste, was es gibt, ist ein Mann, der im Bett lachen kann.«
»Aber hoffentlich nicht im unpassendsten Moment«, sagte Spandau.
»Seit ich diesen Spruch kenne, habe ich mir so einen Mann gewünscht. Einen, der im Bett lachen kann. Und die ganze Sache nicht so wichtig nimmt. Ihr Kerle seid immer so bierernst beim Vögeln.«
»Und wenn er laut losprustet?«, fragte Spandau. »Wäre so einer im Bett trotzdem willkommen?«
»Ein leises Gepruste würde ich durchgehen lassen.«
»Und wenn er gackert oder wiehert?«
»Um Gottes willen. Nein, du hast das ideale Lachen.«
»Puh, da bin ich aber erleichtert.«
»Du schnaufst höchstens ein bisschen dabei, aber sonst ist nichts daran auszusetzen.«
»Dann nehme ich nächstes Mal lieber ein Nasenspray.«
»Wehe! Dein asthmatisches Lachen ist goldrichtig. Es erinnert mich an ein krankes Lämmchen, das ich als kleines Mädchen großgezogen habe. Wenn ich daran denke, wird mir gleich ganz warm und sentimental ums Herz.«
Nichts wirkt anregender auf die Triebe als zwei Flaschen Wein und ein erstklassiges Mahl. Bei der Nachspeise ging es so sinnlich zu wie in der orgiastischen Essensszene in Tom Jones . Anna schleckte mit der Zungenspitze aufreizend langsam die Crème Caramel von ihrem Löffel. Spandau ließ sie von seiner warmen Schokomakrone kosten, und als sie den Bissen endlich, endlich zwischen die Lippen nahm, überkam ihn der leichte Schwindel, mit dem der Zeugungsdrang seit sechs Millionen Jahren sein Recht einfordert. Beide hatten nur noch den einen Gedanken: so schnell wie möglich nach Hause. Als sie in die Nacht hinaustraten, legte er den Arm um sie. Diesmal hoffte Anna sogar auf ein ganzes Heer von Reportern und Fotografen, um diesem Rattenpack endgültig zu beweisen, dass sie auch glücklich sein konnte. Stattdessen wurden sie von einer Handvoll Fans erwartet, denen ein anderer Gast einen Tipp gegeben hatte. Anna blieb stehen und schrieb ein paar Autogramme.
Auf der anderen Straßenseite lauerte Perec, mit einer Sonnenbrille getarnt, in einem dunklen Hauseingang. Als Anna und Spandau aus dem Restaurant kamen, schlenderte er herüber und baute sich hinter Thierrys Mercedes unter einer Laterne auf. Sobald Spandau in seine Richtung sah, nahm Perec die Sonnenbrille ab und lächelte.
Er lächelte.
Der Amerikaner brüllte dem französischen Leibwächter ein paar Worte zu, dann kam er auch schon durch die Menge gepflügt. Perec hatte nichts anderes erwartet. Die Menschen waren ja so dumm, so berechenbar. Es war genau das Gleiche wie in Los Angeles, wie bei der Jagd, die in dem mexikanischen Restaurant endete. Hatte Perec ihn damals nicht auch ausgetrickst? Natürlich würde der Mann ihn verfolgen. Und warum? Weil er es in einer ähnlichen Situation schon einmal gemacht hatte. Das war eine automatische Reaktion, die in seinem Gehirn abgespeichert war. In den Nervenbahnen, so hießen die wohl. Das wusste Perec aus der Wikipedia. Das Gehirn hat es nämlich gern bequem. Es macht am liebsten das, was schon einmal funktioniert hat. Die Wikipedia war genauso was Wunderbares wie Google.
Perec rannte los. Er war klein, leicht und flink. Der Amerikaner war zwar größer, aber auch schwerer und unbeweglicher, und er hatte gerade ausgiebig gegessen. Während Perec wie ein Aal zwischen den Menschen hindurchschlüpfte, die aus den Clubs und Restaurants der Rue d’Antibes auf den Bürgersteig strömten, lief sich der Amerikaner immer
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