Nächte in Babylon
Klischee.«
»Was?«
»Die berühmte Kippe danach. Ich habe nie verstanden, wieso eine Zigarette nach dem Sex besser schmeckt. Je besser der Sex, desto leckerer die Zigarette. Ist es bei euch Männern genauso?«
»Wir Männer stehen mehr auf den Sex, auch wenn eine Zigarette weniger Versagensängste auslöst.«
»Du warst nervös?«
»Und du?«
»Ich hatte einen Heidenbammel.«
»Das hab ich gemerkt, so, wie du mich ins Bett geschmissen hast und über mich hergefallen bist.«
»Irgendwie muss man ja seine Schüchternheit überwinden.«
»Eine sehr wirkungsvolle Methode.«
Sie küsste ihn. »Hör zu. Wenn du gehen musst, musst du gehen. Aber dann bitte schnell. Ein, zwei Tage kann ich die würdevolle Fassade aufrechterhalten; danach wird’s erniedrigend.«
Er schwieg. Sie rückte von ihm ab auf die andere Seite des Betts, um ihre Zigarette auszudrücken. Sie schmiegte sich nicht wieder an ihn.
»Thierry hat mir von einem kleinen Restaurant in Cannes vorgeschwärmt. Le Vent Provençal in der Rue d’Antibes. Echte provenzalische Küche nach Großmutterart. Er hat uns für morgen Abend um acht einen Tisch reserviert. Ein romantisches Essen zu zweit. Du kannst dich durch die Knoblauchdünste hindurch in die unergründlichen Seen meiner Augen versenken. Die Leibwächter müssen draußen bleiben.«
»Ich bin auch Leibwächter«, sagte er.
»Du bist mein Lover«, sagte sie. »Ein Leibwächter der besonderen Art.«
Dicht neben seinem Kopf krabbelte ein heller kleiner Skorpion über einen Dachbalken. Es gab hier oben einige, aber sie störten ihn nicht weiter. Eigentlich mochte er sie sogar ganz gern. Er bewunderte sie, weil sie so unnahbar waren und weil sie ohne zu zögern blitzschnell töteten. Und wenn man sie in Ruhe ließ, taten sie einem nichts. Anders als die Menschen.
Perec schlug ihn mit der Hand tot, bevor er zustechen konnte. Der Skorpion zuckte noch ein Mal, dann bewegte er sich nicht mehr. Schon tat es Perec leid um das Tier. Es war ihm so ähnlich.
Skorpione, dachte er.
Ja, Skorpione wären genau das Richtige.
16
Die Rue d’Antibes zieht sich parallel zur Croisette und zum Strand mitten durch Cannes hindurch. In der langen, engen Straße hinter den berühmten Hotels findet der Gast von Welt, der mehr Geld hat, als er ausgeben kann, alles, was er zur Befriedigung seiner Shoppingsucht benötigt. Wer sich ein einigermaßen zutreffendes Bild von ihr machen will, braucht sich nur den Rodeo Drive in Hollywood vorzustellen, ihn ein bisschen in die Länge zu ziehen und mit so vielen Geschäften vollzustopfen, bis er an einen Straßenmarkt in Hongkong erinnert. Die hundert Meter hinter dem Hotel Carlton zu Fuß zurückzulegen, kommt einem kommerziellen Spießrutenlauf gleich, erzählt man sich doch nicht umsonst, dass man in der Rue d’Antibes sein Geld schneller loswerden kann als bei einem Überfall durch somalische Piraten. Hier gibt es alles, was das Herz begehrt, ganz egal, ob es einen nach einem deftigen koscheren Corned-Beef-Sandwich gelüstet oder nach einem mit Smaragden besetzten Keuschheitsgürtel für die russische Gespielin. Bloß billig wird es nicht. Schon gar nicht während der zwei wahnsinnigen Wochen im Mai.
Le Vent Provençal lag zwischen einem Juweliergeschäft und einer Parfümerie. Das Restaurant existierte an diesem Platz bereits seit Menschengedenken, in der Familie Cotas von Generation zu Generation weitergegeben wie eine göttliche Mission. Eingezwängt zwischen seinen beiden adretten, exklusiven Nachbarn, stach es aus der auch sonst immer nobler und moderner werdenden Umgebung heraus wie ein brauner Schuh aus einer Reihe von Gamaschen. Genau das machte einen Teil seines verblichenen Charmes aus, und die Besitzer waren sich durchaus darüber im Klaren, dass sie ein neuer Fassadenanstrich mindestens achthunderttausend Euro Jahresumsatz gekostet hätte. Außerdem betrachteten sie das Juweliergeschäft und die Parfümerie, die erst vor wenigen Jahrzehnten gegründet worden waren, ohnehin als Emporkömmlinge. Aber man duldete sich und machte gemeinsam Jagd auf die Touristen. Zwischen dem Juwelier und dem Restaurant herrschte von jeher ein friedliches Einvernehmen, nur zwischen dem Restaurant und der Parfümerie kam es gelegentlich zu Reibereien, da es passieren konnte, dass dem poulet roti ein Hauch von Egoïste anhaftete und die Acqua di Parma-Pröbchen ein leichtes Froschschenkelaroma verströmten.
Le Vent Provençal hielt seit fast einhundert Jahren die stolze Tradition
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