Nächte in Babylon
ihnen, aber natürlich fielen die Kinder sofort wie ausgehungerte Wiesel übereinander her. Das Kino wurde zum Streitgegenstand eines Prozessmarathons, der dreiundzwanzig Jahre dauerte und fast die gesamte Familie in den Bankrott stürzte, dafür aber den Sprösslingen der beteiligten Anwälte die allerbesten Privatschulen finanzierte. Irgendwann dämmerte es den Enkeln, dass a) dieses alte Fossil von einem Gemäuer jeden müden Cent auffraß, den sie besaßen, dass b) das Erbteil für die Hinterbliebenen mit jedem neuen Todesfall kleiner wurde und dass sich hier c) für alle Beteiligten die Chance für ein lukratives Abschreibungsgeschäft bot, wenn man nur jemanden finden konnte, der blöd genug war, das Theater zu übernehmen, nachdem diese Hollywoodfregatte Anna Mayhew und ihre feinen Freundinnen den Stadtrat breitgeschlagen hatten, es unter Denkmalschutz zu stellen, wodurch nun leider ein Abriss und damit auch ein Weiterverkauf nicht mehr infrage kamen. Wer wollte sich schon ein hundert Jahre altes Kino – aus der Stummfilmzeit! – ans Bein binden?
O ja, Anna Mayhew hatte in Hollywood so manche Lektion gelernt …
Auf dem Vorplatz war eine kleine provisorische Bühne aufgebaut worden, vor der sich allmählich die ersten Neugierigen sammelten. Spandau, Anna und Pam warteten im Foyer. Der Kinobetreiber und sein Personal waren hektisch mit letzten Vorbereitungen für die Vorführung einer wunderbar restaurierten 35-mm-Fassung von The Lady Eve mit Barbara Stanwyck und Henry Fonda beschäftigt. Der Klassiker war einer von Annas Lieblingsfilmen, und sie hatte schon als Kind in Texas davon geträumt, einmal die Stanwyck-Rolle zu spielen. Sie hatte sich sogar für eine Neuverfilmung eingesetzt, aber alle, denen sie das Projekt vorschlug, starrten sie nur verständnislos an. Kein Mensch wusste, wovon sie redete, kein Mensch kannte den Film. Ob sie nicht lieber Bonnie und Clyde drehen wolle, wenn es denn schon unbedingt ein Klassiker sein müsse? Man stelle sich bloß die ganzen Spezialeffekte vor, die dem Regisseur damals – wie hieß er noch gleich? – nicht zur Verfügung gestanden hatten.
Danke, sagte Anna. Ihr könnt mich mal.
Sie hatte sich immer eingeredet, dass es eines Tages doch noch klappen würde. Und jetzt war sie zu alt dafür. Jetzt würde sie die Rolle nie mehr spielen. Aber es konnte sie keiner daran hindern, den Film zu zeigen, ihn den Ignoranten in den Rachen zu stopfen. Da habt ihr’s, ihr Banausen. So muss ein guter Film aussehen.
Ihre anfänglichen Befürchtungen, dass sich die ganze Aktion als Schlag ins Wasser erweisen würde, hatten sich nicht bewahrheitet. Die PR -Leute hatten sich mächtig ins Zeug gelegt, und sie selbst hatte in mehreren Talkshows mit einer Begeisterung die Werbetrommel gerührt, die sie für ihre eigenen Filme so gut wie nie hatte aufbringen können. Die Mühe hatte sich bezahlt gemacht. Der Vorplatz füllte sich mit Menschen. Angeblich standen sie schon bis auf die Straße. Auf eine solche Resonanz hatte sie nicht zu hoffen gewagt. Ihr Herz klopfte. Zum ersten Mal seit Jahren hatte sie das Gefühl, tatsächlich etwas geleistet zu haben.
Spandau lief im Foyer auf und ab. Über ein Handgelenkmikro und einen kleinen Knopf im Ohr stand er in ständiger Verbindung mit zwei Mitarbeitern, die sich draußen unter das Publikum gemischt hatten.
»Sie machen mich nervös«, sagte Anna zu ihm.
Spandau warf einen Blick durch die Tür. »Der Satz steht normalerweise in meinem Drehbuch«, antwortete er.
»Ist das normal, dass wir aneinanderkleben wie siamesische Zwillinge?«
»Ja, so lange, bis Sie heil wieder hier raus und in Sicherheit sind.«
»Es wird immer voller«, meldete Bruce, einer seiner beiden Männer, über den Kopfhörer. »Jetzt stehen sie schon im Rinnstein. Wenn das so weitergeht, kreuzen bald die Bullen auf. Was soll ich machen?«
»Mel und du, ihr nehmt ein Bad in der Menge«, sagte Spandau. »Schaut euch um, aber schön langsam und unauffällig. Ihr wisst, wonach ihr sucht. Wenn euch etwas Verdächtiges auffällt, meldet ihr euch.«
»Okay«, sagte Bruce.
»Was ist das noch mal für ein Film?«, wollte Mel wissen.
»The Lady Eve«, antwortete Spandau.
»Noch nie was von gehört«, sagte Mel. »Lady Eve? Klingt nach einem Intimspray für Frauen.«
Bruce und Mel lachten. Spandau hatte die beiden schon öfter bei Aufträgen eingesetzt. Sie waren verlässlich, aber noch sehr jung, erst Anfang Zwanzig.
»Was macht ihr gerade, Jungs?«, fragte
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