Nächte in Babylon
sagte Special. »Ich warne dich …«
Perec bückte sich nach der Tüte. Special wollte aufstehen, aber dabei klaffte seine Wunde noch weiter auf, und er kroch auf allen vieren auf ihn zu. Perec schwang noch einmal das Messer und fügte ihm einen knapp zehn Zentimeter langen Schnitt an der Schulter zu. Mit dem Gesicht nach unten krallte Special sich in sein Hosenbein. Perec ritzte ihm die Hand auf und trat über ihn hinweg.
»Special, Schatzi? Alles in Ordnung?«, rief Chanterelle. Sie öffnete einen Spaltbreit die Klotür und spähte ins Zimmer. Im ersten Augenblick dachte sie, es wäre leer, doch dann entdeckte sie Special, und als sie näher kam, sah sie das Blut, sah ihn wie tot auf dem Boden liegen, und sie fing an zu schreien.
Special dachte: Was für ein Tod, was für eine Lachnummer. Aber wenigstens brauche ich mir keine Sorgen mehr um die verdammte Kohle zu machen.
Doch da irrte er sich.
18
An diesem Abend saß Perec in Annas Welt und googelte Anna, wie immer. Das Geld lag, ordentlich gestapelt, auf dem Fußboden. Er hatte es gezählt – über hunderttausend Dollar. Er konnte sich denken, dass es sich um Drogengeld handelte und dass die Suche danach sicher schon auf Hochtouren lief. Gut möglich, dass man ihn früher oder später aufstöbern würde, aber das juckte ihn nicht – nicht mehr. Ihn beschäftigte nämlich etwas ganz anderes. Anna würde nach Cannes fliegen, weil sie in die Jury der Filmfestspiele berufen worden war. Perec war in der Nähe von Nizza geboren und als Kind einmal dort im Urlaub gewesen, als sein Vater noch lebte und bevor seine Mutter völlig dem Gotteswahn verfallen war. In seiner Erinnerung war es ein lichter, luftiger Ort. Wie geschaffen für Anna. Ob das auch für den Rest ihres Clans galt? Da war er sich nicht so sicher. Dass Anna in das Land seiner Geburt fahren würde, war für Perec ein Zeichen, auch wenn er nicht wusste, von wem oder was, weil er ja nicht an Gott glaubte. Woran er glaubte, wusste er selbst nicht. Höchstwahrscheinlich an gar nichts. Trotzdem würde er nach Nizza fliegen. Dort würde er Anna suchen; dort würde er es beenden. Perec warf einen Blick auf die Dollarbündel. Er verstand selbst nicht genau, warum er sie mitgenommen hatte, höchstens aus Wut auf den Neger, der ihn abzocken wollte. Aber jetzt hatte er auf jeden Fall genug Geld, um sich seinen Wunsch zu erfüllen. Mehr als genug, um nach Nizza zu fliegen. Mehr als genug, um Anna zu finden.
Er dachte den ganzen nächsten Tag an seinen Plan. Der Gedanke, einfach abzuhauen, machte ihn glücklich. Auf dem Heimweg von der Arbeit ließ er sich viel Zeit, weil er wusste, dass seine Mutter ihm alles verderben würde, dass es mit seinem Glück aus und vorbei war, sobald er durch die Tür kam. Und genauso war es auch. Als Erstes schlug ihm ihr Geruch entgegen und in der nächsten Sekunde ihre schrille, durchdringende Stimme, die schärfer war als sein Rasiermesser.
»Wo bist du gewesen?«
»Einkaufen. Der Kaffee war alle.«
»Du lügst. So lange braucht man nicht dafür.«
»Ich bin einen Umweg gegangen …«
»Also doch, es war gelogen. Du bist ein Lügner, du bist wie dein Vater, du lügst, wenn du den Mund aufmachst. Ich weiß, wo du hingehst, ich weiß, was du treibst. Ich weiß, wo ihr hingeht, ihr alle.«
»Wer denn, wir alle?«
»Männer. Dieses schmutzige Gesindel. Wie viele Huren hast du angefasst? Wie viele Huren hast du heute angefasst?«
»Hör auf damit.«
»Hätte ich es dir doch lieber gleich nach der Geburt abgeschnitten. Ich stand kurz davor. Ich wollte eine Schere nehmen und es dir abschneiden, um dich zu befreien und dir die Chance zu geben, ein anständiger Mann zu werden. Und jetzt bist du genauso schmutzig und verlogen wie der ganze Rest. Komm her. Komm her und bete.«
»Maman, bitte nicht.«
»Komm her, hab ich gesagt! Komm her, oder ich setz dich vor die Tür. Wenn du nicht herkommst, enterbe ich dich, ich ändere mein Testament. Ich vermache alles der Kirche, jeden Cent, der mir gehört! Das schwöre ich dir!«
Perec kniete mit ihr nieder. Sie beteten. Beziehungsweise Maman betete, und Perec sah ihr dabei zu. Als sie fertig war, half er ihr wieder in ihren Sessel.
»Ich muss mal«, sagte sie.
»Ich richte alles her.«
Perec ging ins Badezimmer. Ihre Unterwäsche, die er gewaschen hatte, hing zum Trocknen über der Wanne. Ihm wurde kotzübel von dem Anblick. Er schmiss die Sachen auf den Boden und riss die Leine aus der Wand, rannte ins Wohnzimmer, stellte sich
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