Nächte in Babylon
einen Franzosen, nach einer endlosen Reihe von Beziehungsfiaskos. Jede Menge Affären, jede Menge gebrochene Herzen. Weil es ihm unangenehm war, selbst Schluss zu machen, piesackte er die Frauen so lange, bis sie ihn von sich aus verließen. Das kam ihm diplomatischer vor. Sollten sie ihn ruhig hassen, dass juckte ihn nicht. Zumindest so lange nicht, bis ihm eine von ihnen eine Kugel verpasst hatte. Und damit er auch ja nicht vergaß, wie knapp er damals dem Tod noch einmal von der Schippe gesprungen war, bestand der zweite Teil seines Morgenrituals darin, die Hand kurz auf die kleine, wulstige Narbe zu legen, die er dem Geschoss verdankte, das ihm fast die Milz zerfetzt hätte. Im Krankenhaus hatte er sehr viel Zeit zum Nachdenken gehabt – und Sex mit der Nachtschwester, die ihm ohne viel Brimborium, aber mit großem Elan einen geblasen hatte, während er sie unter ihrem gestärkten weißen Kittel befummelte.
Natürlich hatte er sie nicht aus diesem Grund geheiratet. Vignon war ein attraktiver Mann, der in seinem Leben durchaus schon des Öfteren ein Flötenkonzert genossen hatte. Der Gedanke ans Heiraten war ihm erst nach der Entlassung aus dem Krankenhaus gekommen. Je länger sie miteinander gingen, je länger sie später zusammenlebten, desto mehr bewunderte Vignon ihre kühle Distanziertheit, ihre Souveränität, ihre Sauberkeit. Sie hatte etwas Zenartiges an sich, das ihn in seinen Bann zog. Sie liebte ihn nicht. Er liebte sie nicht. Es war wunderbar, es war rein, unbesudelt von albernen, klebrigen Emotionen. Sie heirateten und segelten unter einem blitzblanken Himmel dem weiten, offenen Horizont entgegen.
Ganze sechs Monate hatten diese antiseptischen Ehewonnen angehalten. Dann dämmerte Vignon ganz langsam, wie sehr er sich verrechnet hatte. Er war davon ausgegangen, dass man sich bittere Enttäuschungen erspart, wenn man von Anfang an nicht liebt. Damit lag er gar nicht mal so falsch. Bloß hatte er leider außer Acht gelassen, dass mangelnde Liebe allemal in real existierenden gegenseitigen Hass umschlagen kann – und zwar rasant.
Vignon und Adèle dachten zehn Jahre lang jeden Tag daran, einander umzubringen, beseelt von einem nie verlöschenden Hass, der wie eine Zündflamme in ihnen glomm. Eines Tages sagte Adèle zu ihm: »Ich kann dich auf den Tod nicht ausstehen.« Sie umarmten sich, und Vignon half ihr beim Packen. Seitdem hatten sie sich nicht mehr wiedergesehen, kein Wort miteinander gewechselt. Kurz nach der Trennung stand plötzlich Jane auf seiner Terrasse – klein, mager und krank. Er fütterte sie, gab ihr Medizin und ließ sie in einer Kiste neben seinem Bett schlafen – bis sie eines Morgens auf seinem Gesicht saß. Endlich hatte er die wahre Liebe gefunden.
Vignon, der nackt schlief, stand auf und schlüpfte in seine Jeans. Er gab Jane Wasser und Futter, nahm sich eine Gitane aus dem Päckchen, das in der Küche auf der Arbeitsplatte lag, und ging damit nach draußen. Das Rauchen war seine einzige unschöne Angewohnheit – in allem anderen war er praktisch perfekt. Aber im Haus hatte er es sich streng verboten.
Er wohnte in Grasse, an einem Berghang oberhalb von Nizza, mit einem weiten Blick über die Stadt bis hinunter zum Meer. Dass das Haus, das er von seinen Eltern geerbt und in dem er schon als Kind die Schulferien verbracht hatte, eine wertvolle Immobilie war, wusste er nur zu gut. Sonst hätten nicht mit schöner Regelmäßigkeit irgendwelche Amis versucht, es ihm abzukaufen. Ihnen ebenso regelmäßig eine Abfuhr zu erteilen, war eine der größten Freuden in seinem Leben.
Die Maisonne schien, es wehte eine sanfte Brise, und in der Bucht von Nizza konnte er Segelboote und Yachten ausmachen.
Es wäre ein idealer Tag gewesen, um zum Klettern in die Berge zu fahren, aber er musste ja leider diese amerikanische Schauspielerin samt ihrem Gefolge vom Flughafen abholen. Jetzt, um kurz nach sieben, blieben ihm bis dahin noch drei Stunden Zeit. Er drückte die Zigarette aus und ging wieder hinein, in das Zimmer, das er sich zum Kletterstudio ausgebaut hatte. An den mit unterschiedlich geneigten Sperrholzplatten verkleideten Wänden waren zahlreiche abschraubbare Griffe befestigt, Vorsprüngen und Spalten im Fels nachempfunden, die Vignon zu immer noch anspruchsvolleren Routen ummontierte. Die neueste führte nach oben und dann an der Decke entlang quer durch den Raum. Bis jetzt hatte er sie noch nicht einmal halb geschafft.
Er zog seine engen italienischen Kletterschuhe an,
Weitere Kostenlose Bücher