Nächte in Babylon
man durch das alte, schwere Tor des gemauerten Weinguts trat, fand man sich überraschend in einer hellen, lichten Welt mit den neuesten technischen Errungenschaften wieder.
Vor der Villa wurden sie bereits von Mrs. May, der englischen Immobilienmaklerin, erwartet. Anna rauschte wie Maria Stuart an ihr vorbei. Mrs. May hatte Mühe, sie wieder einzuholen. Sie stellte Anna das Personal vor, den Koch, der aussah wie David Niven, und die Haushälterin, eine kleine Frau mittleren Alters. Der Koch sprach nur wenige Brocken Englisch, die Frau ein paar Brocken mehr. Anna wechselte einige freundliche Worte mit den beiden und ignorierte geflissentlich das ungeduldige Gezappel der Maklerin, die die Hausführung möglichst schnell hinter sich bringen wollte, um sich mit ihrem spanischen Liebhaber zu einem mittäglichen Rendezvous zu treffen.
»Möchten Sie nun auch die übrigen Räume sehen?«, fragte Mrs. May.
»Was kochen Sie am liebsten?«, erkundigte sich Anna bei Franz, dem Koch. Sie ließ sich nicht gern hetzen, und wenn es jemand bei ihr probierte, bockte sie und stellte sich stur. Oft genug sollte sie nach irgendjemandes Pfeife tanzen, und immer war sie dabei zum Schluss die Dumme. Je mehr man versuchte, sie anzutreiben, desto widerspenstiger konnte sie werden.
»Provenzalisch«, sagte Franz. »Viel Fische und italienisch Küche.«
»Hört sich gut an.« Als sie sich nach der Maklerin umdrehte, sah die gerade auf ihre Uhr. Anna wurde wütend. »Wollten Sie mir nicht das Haus zeigen?«, fragte sie spitz.
Mrs. May stand das schlechte Gewissen ins Gesicht geschrieben, aber sie bekrabbelte sich rasch wieder und begann mit dem Rundgang. Auf dem Tisch im Esszimmer prangte eine Vase mit einem riesigen Blumenstrauß.
»Die wurden heute Morgen für Sie abgegeben«, sagte Elena, die Haushälterin. »In Ihrem Schlafzimmer steht noch ein Strauß. Und dann haben Sie noch die Früchte bekommen.« Sie deutete auf einen großen Korb, der auf dem Sideboard stand.
Das Obst kam mit Sicherheit vom Festivalkomitee. Die Franzosen lieben Obst, dachte Anna. Ob es vielleicht eine geheime Sprache der Früchte gab? So wie bei den Blumen? Ein Apfel bedeutet Liebe. Eine Artischocke steht für Abwehr. Ich bin heiß, sagt ein reifer Pfirsich. Und eine Banane? Erklärt sich von selbst.
Anna sah sich das Kärtchen an, das zu den Blumen gehörte, auch wenn sie sich denken konnte, von wem sie kamen. Von Andrei. Er gab sich gern als der große Gentleman-Verführer. Allerdings konnte man aus seinen Sträußen nichts herauslesen, weil er sie von einer Assistentin aussuchen ließ. Andrei wusste nie, was sie in seinem Namen verschickten. Er wollte seinem Image als Puschkin des Kinos gerecht werden, dabei hatte er keine einzige poetische Faser im Leib – was er mit Nebulosität wettzumachen versuchte. Bei den meisten Leuten kam er damit durch, und auch Anna hatte es ihm einige Jahre abgekauft. Auf ein wunderbares Wiedersehen. Andrei , las sie und dachte: ohne mich.
Ihre Privaträume, eine abgeschlossene Suite, befanden sich im zweiten Stock. Schlafzimmer, Wohnzimmer und ein Bad, das perfekt in die Kulisse von Caligula gepasst hätte. Die in den Fußboden eingelassene Marmorwanne verlangte geradezu nach einer Schaumorgie. Einen Balkon gab es nicht, dafür aber einen atemberaubenden Blick auf die umliegenden Hügel. Das knapp ein Hektar große Grundstück, auf dem noch vereinzelte Rebenspaliere standen, war von einer Mauer eingefasst. Anna sah die längst verschwundenen Weinberge noch vor sich, wie sie sich sanft den Hang hinunter ausbreiteten.
Die Sonne wärmte ihr Gesicht, und sie bildete sich ein, einen Hauch Lavendel riechen zu können. Es war wie im Himmel. Und plötzlich fragte sie sich, warum sie sich hier eigentlich nie ein Haus gekauft hatte, obwohl sie sich doch bei jedem Aufenthalt aufs Neue in Südfrankreich verliebte. Dabei wusste sie im Grunde genau, woran es gescheitert war. Sie hatte es oft genug bei ihren Schauspielerkollegen miterlebt. Sie redeten davon, wie wunderbar es sich hier leben ließ und wie erholsam es war, doch letzten Endes hielten sie sich kaum einmal für längere Zeit in ihrem neuen Haus auf. In L. A. war die Arbeit, in L. A. wurden die Verträge ausgekungelt, in L. A. saßen die wichtigen Leute.
Ganz Hollywood schwärmte von Europa, aber wenn man zu oft drüben war, wurde man früher oder später so angesehen, als ob man selbst zum Ausländer geworden wäre und Amerika irgendwie die Treue gebrochen hätte – was
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