Nächte in Babylon
dem Bett, im Schreibtisch, im Wandschrank. Und wie es hier stank, nach Scheiße oder so …
Er sieht nach oben. An der Luke aus Sperrholz ist ein kleiner brauner Fleck. Special steigt auf den Stuhl, drückt die Klappe auf. Ein Tropfen landet auf seinem Gesicht. Verfluchter Mist! Wischt ihn ab, schnüffelt an seinem Ärmel: Scheiße, Pisse und ein Hauch von mehr. Sieht noch einmal nach oben. Er hat Maman gefunden. Sie hängt da wie eine eingeschweißte Fledermaus und starrt ihn durch die braune Brühe an, die sich unten in ihrem Plastikkokon gesammelt hat.
Special muss würgen, kippt um ein Haar vom Stuhl. Flüchtet zum Fenster, schnappt nach Luft. Das Herz springt ihm fast aus der Brust. Dieser Vincent Perec ist anscheinend noch ein komischerer Heiliger, als er sich sowieso schon gedacht hat.
Es half alles nichts. Er kletterte wieder auf den Stuhl und versuchte, sich an der Leiche vorbeizuschlängeln. Die Brühe tropfte ihm auf den Rücken und die Beine. Er würgte. Als er die Tote mit dem Ellenbogen zur Seite schob, um sich ganz nach oben zu schwingen, fing sie an, über der Luke hin und her zu pendeln. Unter dem Dach war es dunkel und heiß. Special ertastete eine Strippe, zog daran, und das Licht ging an.
Vor ihm breitete sich Annas Welt aus, so weit der Dachboden reichte, das Wichsparadies eines Wahnsinnigen. Kissen, eine kleine Matratze. Taschentücher und Küchentücher, ein ganzer Papierkorb voll davon. Nicht schwer zu erraten, was Vinnie hier oben trieb. Überall Bilder von dieser Schauspielerin, Anna Mayhew. Ein alter PC mit Monitor und Drucker, provisorisch an eine Telefonbuchse im Fußboden angehängt. Special suchte. Kein Geld, bloß die leere Papiertüte. Verfluchte Scheiße.
In einer Schublade fand er die Aktaufnahmen mit den Blutflecken. Was für eine perverse kleine Ratte. Er schaltete den PC ein. Ein Passwort brauchte er nicht. Special öffnete die Ordner auf dem Desktop. Noch mehr Fotos von der Mayhew-Tussi und Artikel über sie. Und so eine Art Tagebuch, Seiten um Seiten. Special ging auf Google und sah sich die letzten Suchergebnisse an. Alles wie gehabt. Auf einer der zuletzt aufgerufenen Webseiten fand er einen Bericht darüber, dass Anna Mayhew bei den Filmfestspielen in Cannes in die Jury berufen worden war. Und es gab noch mehr Artikel zu dem Thema. Er klickte auf eine Adresse, die das Wort »Air France« enthielt, und landete bei Ticketinformation und Online-Buchung. Hm.
Special ging zurück auf den Desktop und machte einen Ordner mit dem Namen AFT auf. Voilà: die Bestätigung über die Buchung eines Hinflugs erster Klasse für Vincent Perec mit der Air France nach Nizza, Frankreich. Abflug: gestern.
Als Nächstes nahm sich Special das Tagebuch vor. Mehr als zwanzig Seiten irrsinniges Geschwafel, das ihm weit mehr über Vincent Perec, den Psychopathen mit dem kindlichen Gemüt, verriet, als je ein Mensch hätte wissen wollen. Unter anderem erzählte es ihm, warum Vincent Perec seine Mutter umgebracht hatte. Es erzählte ihm, was er mit Salvatore Locatellis Geld anfangen wollte. Es erzählte ihm, wie sehr der arme Vinnie die schöne Anna liebte und warum. Es erzählte ihm, was er mit Anna Mayhew vorhatte.
Aber vor allem sagte es ihm, dass Vincent Perec nicht zurückkommen würde und warum er selbst so schnell wie möglich nach Cannes musste. Special löschte die Festplatte und schaltete den Computer aus. Es gab keinen Grund, den Cops die Arbeit zu erleichtern. Sie durften Perec keinesfalls vor ihm finden. Maman konnte noch ein Weilchen länger hier oben rumhängen und nachreifen. Special quetschte sich an ihr vorbei nach unten, schloss die Luke, wischte seine Fußabdrücke vom Stuhl und fuhr nach Hause, um seinen Reisepass zu holen.
ZWEITER TEIL
CANNES
1
Serge Vignon wachte auf.
Wie an jedem Morgen schob er sich als Allererstes die Katze vom Gesicht, setzte sich hin und dankte Gott, dass er nicht mehr verheiratet war. Jane, die kleine, elegante Tigerkatze, rollte sich auf seinem Schoß zusammen und schnurrte verführerisch. Manchmal schreckte Vignon noch heute aus dem Schlaf, weil ihm davor graute, auf der anderen Seite des Bettes seine Exfrau Adèle vorzufinden, säuerlich vor sich hin schnaufend. So erging es ihm schon seit drei Jahren. Doch bis jetzt schien ihm das Glück hold bleiben zu wollen. Halb erstickt unter einer Katze aufzuwachen, kam ihm nach einem Jahrzehnt mit Adèle regelrecht wie ein Segen vor.
Er hatte erst mit siebenunddreißig geheiratet, relativ spät für
Weitere Kostenlose Bücher