Nächte in Babylon
verziehen.
Und dann war da auch noch Kat.
Katherine, Katie, Kitty-Kat.
Nähere Bekannte nannten sie schlicht und einfach »das Luder«.
War Kat nicht in Cambridge gewesen? Hatte sie nicht an der Königlichen Schauspielakademie in London studiert? Kannte sie nicht Hugh, Stephen und Emma – und Kenny, den süßen sexy Wonneproppen? Wusste sie nicht immer, wer was wo und wie mit wem?
Und hatte sich Katherine Katie Kitty-Kat nicht wie ein rolliges Pumaweibchen über Andrei hergemacht, sobald Anna ihm den Rücken zukehrte?
Du siehst scheiße aus, dachte Anna. Wenn du dir noch einmal die Visage liften lässt, hast du einen Bart wie George Bernard Shaw – nur länger.
»Gott, siehst du umwerfend aus!«, sagte Kat zu ihr. »Man merkt dir dein Alter überhaupt nicht an. Ernährt ihr euch in Kalifornien von Affendrüsen? Ich platze vor Neid.«
Küsschen links, Küsschen rechts.
»Und wie geht es dir so, Kat?«
»Fantastisch, Schatz. Ich hab mir die Möse enger machen lassen. Momentan krieg ich höchstens einen Japaner unter. Du glaubst gar nicht, wie beliebt ich plötzlich wieder bin.«
Du armes Ding, du. Du mit deiner Waggon-Vagina. Und einen Oscar hast du auch noch nie gewonnen. Bloß ein paar mickrige BAFTAs, diese britischen Trostpreise. Und über die Hautlappen an deinen Oma-Oberarmen würde sich jeder Flughund freuen.
Plötzlich ging es Anna schon viel, viel besser.
Man machte sich miteinander bekannt, und zu Annas Erleichterung sprachen alle Englisch.
»Dann wären wir jetzt bis auf Mr. Watanabe vollzählig«, sagte Carrière.
Man plauderte noch ein paar Minuten, bis der japanische Regisseur Hiroaki Watanabe in Begleitung einer üppigen Blondine ins Zimmer marschiert kam und strahlend in die Runde blickte. Watanabe war klein und springlebendig, und er lächelte ununterbrochen. Vielleicht war es nur eine Reflexreaktion auf Blähungen, wie bei einem Baby. Anna überlegte, ob sie ihn über Kats Operation in Kenntnis setzen sollte.
»Darf ich vorstellen? Mr. Watanabe«, sagte die Blondine auf Französisch. »Ich bin Pia Anderson, seine Dolmetscherin. Mr. Watanabe spricht kein Französisch.«
»Wie sieht es mit seinem Englisch aus?«, fragte Carrière.
»Mr. Watanabe«, antwortete Ms. Anderson, »spricht ausschließlich Japanisch. Aber ich beherrsche auch Englisch.«
»Demnach spräche nichts dagegen, dass wir unsere Sitzungen auf Englisch abhalten. Oder gibt es irgendwelche Einwände?«
Er sah mit einem huldvollen Kopfnicken in Annas Richtung. Ihr entging nicht, dass einige der anderen gönnerhafte Blicke untereinander austauschten – nach dem Motto: noch so eine unbedarfte Yankee-Banausin, die wir aus dem kulturlosen Sumpf herausziehen müssen.
Zwar kam sie sich bei der Sitzung ein bisschen wie ein einsprachiger Dorftrampel vor, doch ansonsten ging es wesentlich lockerer zu, als sie befürchtet hatte. Bei Kaffee und Gebäck hörten sie zu, wie Carrière ihnen die Regeln erklärte. Sie waren verpflichtet, sich alle achtzehn Filme anzusehen, die im offiziellen Wettbewerb liefen. Im Palais gab es jeden Tag drei Vorführungen, von denen sie sich eine aussuchen durften. Es war ihnen nicht gestattet, mit anderen als mit Jurymitgliedern über die Filme zu diskutieren, aber sie durften zuhören, wenn andere darüber redeten. In den folgenden zwei Festspielwochen würden sie zwei Mal in der Woche zum Meinungsaustausch zusammenkommen und danach auf einer langen Abschlusssitzung ihre Auswahl treffen.
»Noch Fragen?«, wollte Carrière wissen.
Anna wurde das Gefühl nicht los, dass es sämtliche Anwesenden darauf angelegt hatten, auch nur ja ihrem jeweiligen Länderklischee gerecht zu werden. Die Franzosen gaben sich gelangweilt, der Italiener sah dauernd auf sein Handy und bewunderte ansonsten Ms. Andersons Beine. Die Deutsche schrieb mit konzentrierter Miene jedes Wort mit. Kat Lyons rauchte in eleganter Pose eine Zigarette nach der anderen und bedachte Anna zwischendurch mit einem Lächeln, das nichts anderes besagte als: »Ätsch, ich hab aber schon mal bei der Welturaufführung eines Harold-Pinter-Stücks die Hauptrolle gespielt.« Mr. Watanabe lächelte in einer Tour, während Ms. Anderson, wenn sie nicht gerade für ihn dolmetschte, seelenruhig damit beschäftigt war, immer wieder seine Hand von ihrem Knie zu nehmen.
Die letzten dreißig Minuten der zweistündigen Sitzung vergingen mit Klatsch- und Tratschgeschichten. Anna hielt es nicht mehr aus. Sie musste die ganze Zeit an Spandau denken, der
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