Nächte in Babylon
sich diskret zu erbrechen. Ich habe eine Todesangst, aber ich mache mich hübsch und komme in einen Saal mit hundert Leuten, die genauso viel Schiss haben wie ich und sich ebenfalls nichts anmerken lassen dürfen. Wir tun so, als gehört uns die Welt, aber wir kommen einander lieber nicht zu nahe, damit keiner den Angstschweiß des anderen riechen kann. Unser Mittagessen war so schön, doch dann war es vorbei. Schon auf dem Weg zum Auto musste ich daran denken, dass ich heute Abend hier sein und meine Nummer runterspulen würde. Dass ich für einen Haufen Arschlöcher, die ich nicht ausstehen kann, die übliche Rolle spielen muss.«
»Aber warum steigen Sie dann nicht aus?«
»Weil ich es nicht kann«, sagte sie. »Ich weiß, es klingt jämmerlich, aber ich bin nun einmal eine gute Schauspielerin. Meine Arbeit ist mir immer noch wichtig. Und was würde ich sonst mit mir anfangen? Die Schauspielerei ist alles, was ich habe.«
Sie drückte ihre Zigarette auf der Balustrade aus und warf sie auf den Kiesweg. »Andrei ist auch hier«, sagte sie. »Er schleicht schon den ganzen Abend um mich rum.«
»Und Andrei ist wer?«
»Andrei Levin, der Regisseur. Ein alter Verehrer. Er hat einen Film im Wettbewerb laufen.«
»Möchten Sie, dass ich ihm eine Abreibung verpasse?«
»Nichts lieber als das«, antwortete sie. »Nur Ihretwegen ist er mir bis jetzt noch nicht auf die Pelle gerückt. Ohne Sie kann ich mich da nicht wieder reintrauen.«
Spandau wollte ins Haus gehen, aber sie hielt ihn zurück.
»Okay«, begann sie. »Ich habe Ihnen jede Menge Chancen gegeben, mir zu sagen, wie fantastisch ich aussehe. Und Sie haben sich jede einzelne davon entgehen lassen.«
»Ich wollte es Ihnen vorhin schon sagen, aber ich hatte Angst, Sie würden mich zusammenfalten.«
»Trauen Sie sich ruhig.«
»Ja, Sie sehen wunderschön aus, Anna.«
»Gut«, sagte sie. »Jetzt dürfen Sie mich küssen.«
Er beugte sich zu ihr und küsste sie sanft.
»Mann, bist du schwer von Begriff«, seufzte sie. »Daran müssen wir noch arbeiten.«
Sie hakte sich bei ihm unter, und sie gingen ins Haus. Um möglichst mit keinem Menschen reden zu müssen, blieben sie nirgendwo länger stehen, bis sie schließlich von Andrei, einem schweren Mann mit wilder Mähne, angesprochen wurden, der sie schon eine ganze Weile beobachtet hatte. Er hielt ein Glas Wodka in der Hand, aber es war schwer zu sagen, wie viel er intus hatte. Er sprach ein klares, korrektes Englisch mit slawischem Akzent.
»Du musst dich mehr unter die Leute mischen«, sagte er zu Anna. »Das ist nicht gut, was du machst.«
»Warum nicht?«, fragte Anna.
»Wegen der Arbeit«, antwortete Andrei. »Wir sind doch alle Huren, wenn es um den Job geht. Wir müssen uns verkaufen. Du bist scharf auf eine Rolle, ich bin scharf aufs Geld. Ich schlage mich besser als du. Ich gehe fischen. Ich werfe meine Angel aus und hoffe, dass mir ein dicker fetter Hecht an den Haken geht. Aber du, du bewegst dich nicht vom Fleck, und das ist ein Fehler. Es sei denn, du wärst eine Forelle. Weißt du noch, wie wir in Schottland fischen waren?«
»Du verwechselst mich mit einem deiner anderen Weiber.«
»Nein, wir waren fischen, das weiß ich genau. Ich hab spioniert, als du ins Gebüsch gepinkelt hast. Ein poetischer Augenblick«, sagte er. »Und wer ist das?« Er deutete mit dem Kopf auf Spandau.
»Ein Bekannter.«
»Was machen Sie beruflich?«, fragte er Spandau. »Falls Sie einen Beruf haben.«
»Ich bin Züchter.«
»Und was züchten Sie?«
»Papageien«, antwortete Spandau.
»Das glaube ich nicht, dass Sie Papageien züchten«, sagte Andrei. »Aber dass Sie sich mit Vögeln auskennen, könnte ich mir vorstellen. Habe ich nicht recht?«, fragte er Anna. »Kennt er sich mit Vögeln aus?«
»Ach, fick dich doch ins Knie, Andrei«, sagte sie und nahm Spandaus Arm, um ihn aus der Gefahrenzone zu manövrieren. Der war rot angelaufen, und seine Nackenmuskeln spannten sich gefährlich. Als Andrei versuchte, Anna festzuhalten, packte Spandau sein Handgelenk und grub ihm seinen Daumen in die Sehnen.
»Flosse weg, Mister. Es sei denn, Sie möchten sie in einer Plastiktüte mit nach Hause nehmen.«
»Komm, David«, sagte Anna. »Lass es gut sein.«
Spandau drückte ein letztes Mal zu. Andrei ließ Anna los und rieb sich das schmerzende Handgelenk.
»Sie wollen sich mit mir schlagen«, sagte er zu Spandau.
»Keine schlechte Idee.«
»Sag ihm, was ihm dann blüht«, forderte Andrei Anna auf. »Weiß dein
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