Nächte in Babylon
Esszimmer Smalltalk, bis es Zeit wurde, sich umzuziehen. Spandau klopfte den Staub aus seinem Smoking und war froh, dass er die Manschettenknöpfe nicht vergessen hatte. Als er wieder nach unten kam, telefonierte Pam mit dem Handy. Sie hatte in der Zwischenzeit ein hautenges grünes Kleid angelegt. Obwohl sie ihre berühmte Schwester von der Figur her nicht ganz in den Schatten stellen konnte, brauchte sie sich damit auf dem Fest auch nicht zu verstecken. Sie lächelte Spandau anerkennend zu und machte ihm das Okayzeichen.
Mit den Händen in den Taschen stand er sich eine halbe Stunde die Beine in den Bauch und wartete auf Anna. Schließlich setzte er sich an den Esstisch und legte mit einem Kartenspiel, dass er irgendwo gefunden hatte, Patiencen. Als sie endlich die Treppe herunterkam, musste er zugeben, dass sich die Warterei gelohnt hatte. Sie trug ein schlichtes schwarzes Kleid, kaum Schmuck und ein atemberaubendes Dekolleté, bei dem man plötzlich wieder verstand, warum pubertierende Jünglinge noch immer ihretwegen ins Kino gingen. Das Haar hatte sie hochgesteckt, wodurch Hals und Schultern unglaublich zart wirkten. Spandau fiel wieder ein, dass sie in ihrer Jugend als Model angefangen hatte. Sie kam ihm plötzlich wie eine jüngere, schlankere Ausgabe der Frau vor, mit der er den Tag verbracht hatte, und das lag weder am Kleid noch an ihrem Make-up. Vielmehr schien sie sich von innen heraus in das leuchtende Wesen verwandelt zu haben, das jetzt die Treppe heruntergeschwebt kam. Spandau hätte ihr gern ein Kompliment gemacht, aber er war sich nicht sicher, wie sie es aufnehmen würde.
Anna blickte durch ihn hindurch und sagte zu Pam: »Okay, bringen wir es hinter uns.« Damit war sie auch schon zur Tür hinaus. Pam und Spandau schlossen sich an. Sie unterhielten sich während der Fahrt, aber Anna beteiligte sich nicht an dem Gespräch und sah Spandau nur hin und wieder verstohlen von der Seite an. Er rechnete fest mit einem Ausbruch von ihr, doch er blieb aus.
Spandau waren Partys dieser Art zuwider. Er folgte Anna auf Schritt und Tritt und musste sich, weil sie es anscheinend nicht für nötig hielt, bei ihren jeweiligen Gesprächspartnern auch noch selbst vorstellen. Schon möglich, dass sie ihm mit dieser Behandlung etwas zu verstehen geben wollte, er hatte bloß keine Ahnung, was das sein sollte. Irgendwann wurde es ihm zu dumm, und er verzog sich mit einer Entschuldigung auf die Terrasse, um eine zu rauchen. Während er auf die Lichter der Yachten in der Bucht hinaussah, fragte er sich, ob vielleicht einige der Besitzer so schlau gewesen waren, auf den Zirkus hier oben zu verzichten, und es sich lieber mit einer Pizza und einem geliehenen Film an Bord gemütlich gemacht hatten. Anna kam mit zwei Gläsern Champagner heraus und stellte eines vor ihn auf die steinerne Balustrade.
»Alle Achtung, schicke Schale«, sagte sie. »Falls ich das bis jetzt noch nicht gesagt haben sollte.«
»Haben Sie nicht.«
»Aber gedacht hab ich’s.« Sie nippte an ihrem Champagner und lehnte sich neben ihn. »Mein Gott, diese Partys sind wirklich das Hinterletzte«, sagte sie.
»Warum sind Sie dann hier?«
»Um Flagge zu zeigen«, sagte sie. »Es ist wie bei einem Kanonenboot, das vor den Philippinen kreuzt. Man schüchtert die Eingeborenen ein und macht ihnen klar, wer am längeren Hebel sitzt. Sie sind sauer auf mich, stimmt’s?«
»Sagen wir, ich hab ein bisschen den Durchblick verloren.«
»Vielleicht könnte ich etwas Licht ins Dunkel bringen.«
»Muss man andere Menschen wie den letzten Dreck behandeln, nur weil man über ihnen steht? Weil es nun mal das Vorrecht der oberen Zehntausend ist?«
»So sehen Sie mich?«
»Wollen Sie mir nicht auf die Sprünge helfen?«
Sie nahm sich eine Zigarette aus seiner Packung, er gab ihr Feuer. Sie inhalierte tief und blies ihm den Qualm verspielt ins Gesicht. »Der Rauch des Schlachtfelds, Herzchen«, sagte sie. »Man hat die Hosen gestrichen voll, tappt blind auf das Kriegsgetöse zu und betet, dass es gut geht.«
»Sie kramen ja heute Abend mächtig in der Mottenkiste der Kriegsmetaphern. Tut mir leid, die Mühe können Sie sich bei mir sparen.«
»Wissen Sie, warum ich Sie vorhin so lange habe warten lassen, bevor wir losgefahren sind? Weil ich mir erst noch die Seele aus dem Leib kotzen musste. Jedes Mal, wenn ich auf eine von diesen Schickeriapartys muss, gehe ich vorher erst mal ’ne Runde reihern. Das bekommt man als Model mit auf den Weg: die Fähigkeit,
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