Naechte mit Bosch - 18 unwahrscheinlich wahre Geschichten
der bei eich g’führt?«, murmelte er. Kam keine Antwort,oder war gerade niemand zu sprechen? Jedenfalls redete er ganz plötzlich weiter wie vorher und kam nicht mehr darauf zurück, was man drüben über mich wisse. Vielleicht hatte man meine Akte nicht gleich finden können, dachte ich.
Er sei ja auch viele Male dort gewesen, sagte Koni, das Telefon. Oft habe er schon gelebt, oft sei er schon gestorben; vergiftet, erschlagen, ermordet nicht selten, weil er einer sei, der sich nie scheue, die Wahrheit zu sagen. Übergangslos verfiel er in eine lange Rede über das Militär und das Geld, beides verderblich-so-verderblich – ein langer Monolog, wie man ihn öfters zu erwarten hatte, das sollte ich noch lernen: ein Fluss von Sätzen, ineinander verschlungen, miteinander verwoben, dann wieder zerhackt, abgebrochen, mit Wortlücken. Das war ein Schimpfen, Wettern, Rufen, Sichhineinsteigern, bis Koni, das Telefon, irgendwann und irgendwie auf das Säbelrasseln deutscher Offiziere kam und auf der Ahornplatte seines Tisches ein Obstmesser wetzte zur Illustration. So wird es wohl sein, dachte ich, wenn Kurt ihn ruft oder der Buddha Murat und die Nachrichten ihn übermannen und die Bücher durchgegeben werden.
Vergiftet worden sei er um fünf nach Christus, »zu dessen Zeiten war ich auch dabei«.
Ich überlegte schnell, ob ich »Als was?«, fragen sollte, und fragte dann: »Als was?«
Er lehnte mittlerweile mit dem Rücken an einem Büffettschrank, auf dem weiße Bücher lagerten, und sagte: »Dassage ich Ihnen nicht, sonst halten Sie mich für einen Spinner.« Das sei sowieso immer sein Problem, dass er für einen Spinner gehalten werde. Aber später, viel später, das dürfe er schon mitteilen, sei er ein englischer Adliger gewesen, er wisse nicht mehr, wo und welchen Titels. Aber dass er eine französische Freundin gehabt habe, eine Sängerin – das habe er nicht vergessen. Drei Inkarnationen sei das nun schon wieder her. Mit der Sängerin habe er sein ganzes Geld durchgebracht, und im nächsten Leben habe er dafür ein Waisenkind sein müssen, Sohn eines französischen Soldaten (der lebte erst kürzlich mal wieder als religiöser Maler) und einer Polin, die ihn eben ins Waisenhaus steckte. Heimleiter war Herr Doktor Joseph Murphy, und Hildegard von Bingen war auch da, in einem späteren Leben übrigens seine Schwester in Russland. So sieht man sich wieder.
Zehn Kinder hatte er damals, und Maurer war er von Beruf, und Katharina von Siena war seine Frau. Ein Bild von ihr hing an der Wand, zwischen Englein.
Auf dem Tisch stand eine Dose Isodrink und auf einem Vertiko eine gelbe Büchse mit Vollkornbrot, und mir fiel ein Satz von Kurt ein: »Ernährung ja, aber die richtige.« Kurt sei im Krieg von den Russen erschossen worden, sagte Koni, das Telefon. Er habe gut zeichnen können. Zwei Zeichnungen von ihm habe er noch, ein Mauserl und eine Kuh. Er wechselte übergangslos das Thema und erwähnte, dass er auch mit diesem Stein reden könne, der da auf dem Schrankzu sehen sei, ein faustgroßer runder Stein. Einmal habe er Christus gefragt: »Wie kommt es, dass der Stein mit mir redet, der versteht doch net Bayrisch, der versteht doch net Deutsch.« Da habe Christus geantwortet: »Aber dein Bewusstsein dringt in ihn ein.«
Für das, was Christus sagt, gibt es einen roten Plastikordner. Für Gespräche mit der eigenen Seele einen gelben.
Ich wollte doch nach Shakespeare fragen, Mensch!
Ein Heiliger war Koni, das Telefon, auch schon, zwischendurch mal. Einen Hellsichtigen kennt er, der war zu Christus’ Zeiten einer der zwölf Apostel, der Ungläubige Thomas. Heute heißt er auch Thomas, in diesem Leben. Zufall wahrscheinlich.
Im Nebenzimmer sind ja noch mal so viele Englein, sehe ich, und auf dem Tisch dort stehen Saatkästen mit Erde, aus denen kleine Pflanzen sprießen.
Als es dunkel wird, sickern ins Wohnzimmer Menschen ein wie jeden Mittwoch, zehn am Ende, wenn ich mich nicht verzählt habe. Manche waren schon mal da, manche nicht. Vor vierzehn Tagen erst haben sich hier zwei Frauen kennengelernt, die sich gleich bekannt vorkamen, warum auch nicht? Sie waren schon mal Großmutter und Enkelin, und nun sitzen sie bereits wieder nebeneinander. Ein Sofakissen weiter: Der Mann hat schwarze Locken und eine Nickelbrille und ein blaues Sweatshirt, und er bekäme von mir eine Rolle in einem New Yorker Film, wenn er sich denfränkischen Akzent abgewöhnen würde. Das blaue Shirt könnte er behalten, aber der Akzent
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