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Naechte mit Bosch - 18 unwahrscheinlich wahre Geschichten

Naechte mit Bosch - 18 unwahrscheinlich wahre Geschichten

Titel: Naechte mit Bosch - 18 unwahrscheinlich wahre Geschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Axel Hacke
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Schwimmern immer anbot: »Wennde gewinnst, kriegste meine Tochter.« Und mit zu den Olympischen Spielen in München durfte es fahren und in Berchtesgaden wohnen, wo es die Einheimischen unter den Tisch soff bis zum Erbrechen.
    Es trank mehr Dosenbier und erzählte weiter von früher, von seinem guten Job bei WTB, »Waren des täglichen Bedarfs«, wo eigentlich immer alles zu haben war. Und dass es jetzt einen neuen Job habe als Automatenaufsteller, erzählte das Reichshuhn, mit Erfolgsprämie, und wie es jeden Tag die Leute übers Ohr haute und dafür eben die Erfolgsprämien kassierte.
    Ah, so ein zynisches, immer angepasstes, dämliches Opportunistenhuhn, dachte ich.
    Endlich müsse es wieder ein einheitliches deutsches Nationalhuhn geben, lallte es; es wolle überhaupt nur nochReichshühner um sich sehen. Alles müsse werden, wie es um 1900 war, als man begonnen habe, das Deutsche Reichshuhn zu züchten (natürlich aus englischen, italienischen, belgischen und amerikanischen Hühnern, aber das blieb unerwähnt). Dosenbier um Dosenbier gluckerte in seinen Hals, das Huhn rülpste gequetscht, musterte die Dose zwischendurch anerkennend und sagte: »Schmeckt überhaupt nicht nach Büchse.«
    Am nächsten Morgen machte es Frühstück um halb sieben, weil die Reichshühner so früh aufstehen, und nahm 45 Mark für ein durchgelegenes Bett und das Frühstück eben, mit Rührei wenigstens.
    Ich habe mir dann eines Tages im Bioladen sechs Eier gekauft, habe eines von meiner Putzfrau ausbrüten lassen – und siehe: Ich bekam ein kleines Zwerg-Strupphuhn, ein wunderhübsches, pummeliges, goldgelbes kleines Ding mit weit abstehenden lockigen Federn. Nie wieder werde ich ein so schönes Huhn haben (davon erzähle ich gleich noch mehr). Und ich habe viele Hühner gehabt, tolle Hühner.
    Ich erinnere mich an eine Deutsche Zwerg-Langschan, blauschwarz, mit einer zuckerhutförmigen Schwanzpartie. Sie war mit einem Busfahrer aus Essen verheiratet, der – wir machten alle Urlaub im Robinson Club auf Fuerteventura – ganze Abende nur Ente-Lippens-Anekdoten erzählte und gar nicht merkte, wie ich ihm sein Hühnchen ausspannte. (»Vernasch mich!«, seufzte sie bei unseren heimlichen Treffs,und wirklich aß ich sie eines Abends am Beach-Grill wie eine Bresse-Poularde einfach auf.)
    Oder ich hatte ein Yokohama-Huhn, ein fasanenartiges Wesen mit meterlangen Schwanzfedern, die einen in der Nase kitzeln. Das Yokohama-Huhn wohnte in der Maximilianstraße in einer teuren Altbauwohnung mit einer Riesenbadewanne, und es trug nur türkisfarbene Kapotthüte und sammelte bronzene Eßbestecke und schwülstige Leuchter aus kostbarem venezianischen Glas und Briefbeschwerer mit den Köpfen römischer Feldherren. Jeden Besucher fotografierte es zuerst mit einer Polaroidkamera und hielt das Bild während des Entwickelns unter dem rechten Flügel.
    Ja, und ein fleischiges, grünglänzendes Australorp-Huhn hatte ich, das auf einem oberbayerischen Schloss wohnte und viel zu enge Breeches von »Et vous« trug und taillierte Blazer aus Popeline von Joop. Wenn es die auszog, war es das verworfenste Huhn von allen, so ein nimmersattes Stück, na, mehr will ich nicht erzählen. Soll ich noch das anthroposophische Huhn erwähnen, das von seiner Wiedergeburt als Giftschlange träu …
    Ach, nie wieder werde ich etwas so Herrliches haben wie mein wolliges, knolliges Zwerg-Strupphuhn, ein lebhaftes Hühnlein von schlichtem Gemüt, das von seinem Brötlein immer nur pickte und an seinem Weinlein immer nur nippte und doch immer ein bisschen zu dick war und deswegen manchmal melancholisch wurde und schließlich weinte ausorangeroten Knopfaugen. Ich verschaffte ihm einen Job in einem Frisiersalon in München-Neuhausen, und abends sahen wir zusammen Sportschau oder spielten Modelleisenbahn, und morgens lasen wir die Geflügelzeitung. Ich pinselte ihm den Rachen mit fünfprozentiger Karbolsäure ein, wenn es Schleimhautentzündung hatte, und nannte es Müllerchen und manchmal auch Schulze, so liebte ich es.
    Leider fing es furchtbar an zu trinken, süße Liköre zuerst, dann alles. Es war furchtbar, ein Strupphühnchen so verkommen zu sehen. Es soff und soff und soff, und abends, wenn ich nach Hause kam, saß es manchmal auf der heißen Herdplatte und merkte gar nicht, wie ihm die Füße verbrannten, und überall roch es nach angebranntem Huhn.
    Eines Tages war es weg, mit dem ganzen Schmuck. Ich sah es nie wieder und weiß bis heute nicht genau, wo es geblieben ist,

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