Naechtliche Versuchung - Roman
einen weiteren mazedonischen Kommandanten geschnappt, um ihn zu kreuzigen. Sei versichert, in jener Schriftrolle warst du besser aufgehoben. Sonst hättest du das Los erdulden müssen, das Scipio und Valerius uns zudachten.«
Er spürte immer noch Julians Gewissensqualen. Wie gern würde er den Freund davon befreien!
»Was ist geschehen?«, fragte Julian. »In den historischen Berichten steht, Valerius habe dich auf dem Schlachtfeld gefangen
genommen. Das glaubte ich nie. So, wie du stets gekämpft hast …«
»Und die Historiker behaupten, du seiest von Scipios Meuchelmördern getötet worden. Immer wieder propagieren die Sieger ihre eigene Version von der Wahrheit.«
Zum ersten Mal seit Jahrhunderten erlaubte Kyrian seinen Gedanken die Rückkehr zu jenem verhängnisvollen Tag in ferner Vergangenheit. Die Zähne zusammengebissen, fühlte er erneut heißen Zorn und beklemmendes Leid. O ja, er wusste, warum er diese Erinnerungen in die tiefsten Regionen seines Geistes verbannt hatte. »Was für betrügerische Biester die Schicksalsgöttinnen sind … Valerius nahm mich nicht fest. Ich wurde als Geschenk verpackt den Römern übergeben.«
Verblüfft runzelte Julian die Stirn. »Wie kam es dazu?«
»Das verdanke ich meiner kleinen Klytämnestra. Während du und ich die Römer bekämpften, empfing meine Gemahlin sie daheim, in ihrem Bett.«
Julian wurde blass. »Unmöglich! Nach allem, was du für Theone getan hattest …«
»Nur selten bleiben gute Taten ungestraft.«
Der bittere Unterton in der Stimme des Freundes erschütterte Julian. Nein, das war nicht der Mann, den er in Mazedonien gekannt hatte, der fröhliche, warmherzige Kyrian von Thrakien. Jetzt wirkte er abgestumpft. Vorsichtig. Misstrauisch und fast kalt.
»Bist du wegen ihres Betrugs ein dunkler Jäger geworden?«, fragte Julian.
»Ja.«
Voller Mitleid und Wut senkte Julian den Blick. In seiner
Fantasie erschien der einstige Kyrian, ein mutwilliges Lächeln in den Augen, von unbändiger Lebenslust erfüllt.
Mit seiner großzügigen Gesinnung, seiner Güte und Tapferkeit hatte er sogar Julian für sich gewonnen, der so fest entschlossen gewesen war, diesen verwöhnten, arroganten Burschen zu hassen.
Doch man konnte Kyrian einfach nicht hassen.
»Was hat Valerius mit dir gemacht?«, fragte Julian, und Kyrian holte tief Atem.
»Glaub mir, die Einzelheiten willst du gar nicht wissen.«
Julian beobachtete, wie Kyrian offenbar von Erinnerungen verfolgt zusammenzuckte. »Was ist los?«
»Nichts.«
Julian dachte an Kyrians Ehefrau. Klein, zierlich und blond, war sie schöner gewesen als Helena von Troja. Nur ein einziges Mal hatte er sie gesehen, aus der Ferne, aber sofort gewusst, was seinen Freund zu ihr hinzog - eine unwiderstehliche erotische Aura, verbunden mit bezaubernder Grazie.
Knapp zweiundzwanzig Jahre alt, war Kyrian ihr zum ersten Mal begegnet. Auf den ersten Blick hatte er sich in die acht Jahre ältere Frau verliebt. Was immer andere Leute auch von ihr behaupteten - er achtete nicht darauf. Mit jeder Phase seines Körpers und seiner Seele hatte er sie geliebt.
»Und Theone?«, fragte Julian. »Hast du jemals herausgefunden, warum sie es tat?«
Kyrian warf die Salbe in den Erste-Hilfe-Kasten zurück. »Weil sie fürchtete, ich könnte sie nicht beschützen. Das hat sie mir zumindest erzählt.«
Julian stieß einen Fluch hervor.
»Natürlich glaubte ich ihr nicht«, fuhr Kyrian leise fort.
»Wochenlang lag ich in Ketten, erduldete die schlimmsten Folterqualen und fragte mich, warum sie mich so sehr hasste, dass sie mich meinem schlimmsten Feind ausgeliefert hatte. Und wieso ich so dumm gewesen war …«
Mit zusammengepressten Lippen erinnerte sich Kyrian an die Miene seiner Frau vor seiner Hinrichtung. Gleichmütig hatte sie seinen Blick erwidert, ohne die geringste Reue zu zeigen.
In jenem Moment hatte er die Wahrheit erkannt. Er hatte ihr sein Bestes gegeben, sein ganzes Herz, seine ganze Seele, und nichts von ihr bekommen. Nicht einmal freundliche Zuneigung. Hätte er wenigstens ein leises Bedauern in ihren Augen gelesen, ein kleines bisschen Mitgefühl …
Aber ihre einzige Emotion war morbide Neugier gewesen.
Damit hatte sie ihm das Herz gebrochen. Wenn sie ihn nicht liebte, trotz allem, was er ihr bot, dann konnte er nicht liebenswert sein.
Also hatte sein Vater Recht behalten.
Keine Frau wird einen schwerreichen Mann in deiner Position jemals lieben. Finde dich damit ab. Alles, was eine Frau jemals in dir sehen
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