Naechtliches Schweigen
aus dem Sack ließ. »Ich werde jetzt hier zur Uni gehen.«
»Ich dachte, Sie würden so eine Nobeluniversität in London besuchen.«
»Ich habe den Studienplatz gewechselt. Sie wissen doch, mein Herz hängt an New York.«
Als sich die Fahrstuhltüren hinter ihnen schlössen, verdrehte Marianne die Augen. »Du sprichst mit gespaltener Zunge, McAvoy.«
»Wieso, das meiste stimmt doch.« Emma kicherte nervös. »Ich bin seit zwei Monaten achtzehn. Zeit, unabhängig zu werden.«
»Ich bin seit sieben Monaten volljährig, und mein Vater hat trotzdem getobt, als ich an die New Yorker Uni gewechselt habe. Na ja, das ist geklärt. Und morgen suchen wir uns ein Apartment. Dann können wir endlich so leben, wie wir es schon immer wollten.«
»Genau. Und jetzt kommt die erste Hürde.« Der Fahrstuhl hielt an, und beide gingen langsam den langen, stillen Korridor entlang. »Überlaß das Reden mir«, warnte Emma, als sie vor Johnnos Tür standen. Da Marianne sie nur verblüfft anstarrte, erklärt sie seufzend: »Das letzte Mal, als du das große Wort geführt hast, mussten wir drei Samstage lang die Kirchenbänke polieren. Also halt den Mund.«
»Ich bin Künstlerin und kein Rechtsverdreher«, murmelte Marianne widerspenstig, setzte dann aber ihr gewinnendstes Lächeln auf.
»Johnno!« Emma warf sich in die Arme des Mannes. »Überraschung!«
»Nanu?« Er war nur halb bekleidet und von Wein und einem Mittagsschläfchen leicht beduselt. Mit beiden Hängen hielt er Emma ein Stück von sich ab. Groß war sie geworden. In den letzten achtzehn Monaten war sie regelrecht in die Höhe geschossen. Gertenschlank, anmutig und beinahe elegant stand sie vor ihm, das hellblonde Haar fiel ihr, von Kämmen zurückgehalten, üppig und glänzend auf die Schultern. Sie trug enge, verwaschene Jeans, in die sie ein Rippenshirt gestopft hatte. Große Goldreifen schwangen an ihren Ohren. »Himmel, du siehst ja aus wie ein Model im Freizeitlook.« Sein Blick wanderte zu Marianne. »Da ist ja auch mein liebster Rotschopf. Was hast du denn mit deinen Haaren angestellt?« wollte er wissen und rieb über Mariannes Bürstenschnitt.
»Das ist jetzt in«, informierte sie ihn und hielt ihm die Wange hin. »Haben wir dich geweckt?«
»Allerdings. Aber ich sollte euch wohl erst mal reinlassen, ehe ich mich erkundige, was zum Teufel ihr hier wollt.« Er blickte nach unten. »Mit Gepäck.«
»Ach Johnno, es tut so gut, wieder hier zu sein. In dem Moment, wo ich am Flughafen ins Taxi gestiegen bin, hab' ich mich schon wie zu Hause gefühlt.« Emma ließ ihren Koffer fallen, sah sich kurz im Zimmer um, ließ sich dann auf die Couch plumpsen, rieb mit der Hand über die austernfarbenen Kissen und sprang wieder auf. »Und wie geht's dir?«
»Hmm.« Er kannte sie zu gut, um sich von ihrer aufgesetzten Lässigkeit täuschen zu lassen. »Ich stelle hier die Fragen. Wollt ihr was trinken?«
»Ja, bitte.«
Johnno ging zu einer drehbaren gläsernen Bar und entnahm ihr zwei alkoholfreie Getränke. »Gibt es irgendwelche Ferien, von denen ich nichts weiß?«
»Der Tag der Befreiung ist da. Marianne und ich habe zur New Yorker Universität gewechselt.«
»So, habt ihr das?« Johnno goss zwei Gläser Diätcola ein. »Wie kommt es, dass Brian das nicht erwähnt hat?«
»Er weiß nichts davon.« Emma nahm die beiden Gläser und reichte eines mit warnendem Blick an Marianne weiter. »Ehe du jetzt etwas sagst, hör doch bitte erst mal zu.«
Zur Antwort zupfte Johnno sie leicht am Ohr. »Wie bist du denn an Sweeney und seinem Kollegen vorbeigekommen?«
»Braune Perücke, Hornbrille und Humpeln.«
»Schlau eingefädelt.« Unsicher nippte er an ihrem Glas. Die Rolle des heimlichen Verbündeten behagte ihm ganz und gar nicht. »Kannst du dir vorstellen, was für Sorgen sich Brian machen wird?«
Das flüchtige Bedauern in ihren Augen wich harter Entschlossenheit. »Ich habe vor, ihn anzurufen und ihm alles zu erklären. Aber mein Entschluss steht fest, Johnno. Nichts, was du oder er oder sonst wer sagen könnte, wird mich davon abbringen.«
»Ich hab' ja noch gar nichts gesagt.« Stirnrunzelnd blickte er Marianne an. »Du bist auffallend still.«
»Man hat mich gewarnt. Ich hab' das alles mit meinen Eltern schon durchgekaut«, fügte sie schnell hinzu. »Sie sind zwar nicht unbedingt begeistert, aber was soll's? Emma und ich sind beide volljährig. Wir wissen, was wir wollen.«
Plötzlich kam Johnno sich alt vor. »Und das bedeutet, dass ihr von nun an tun und
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