Naechtliches Schweigen
Auftrag erhalten, nachdem ihr Vater sie gebeten hatte, Devastation für das Cover des neuen Albums zu fotografieren. Für Lost the Sun. Das originelle Schwarzweißfoto hatte solchen Anklang gefunden, dass sogar Pete sich mit Kommentaren über Vetternwirtschaft zurückgehalten hatte. Keinen Ton hatte er gesagt, als man sie aufforderte, auch das nächste Plattencover zu gestalten.
Dass gerade er, in seiner Funktion als Manager der Gruppe, sie zu der Tournee eingeladen hatte, vermittelte ihr ein Gefühl tiefer Befriedigung. Ein festes Honorar und Spesen. Runyun hatte zwar gemeckert, aber nur kurz - irgend etwas von Kommerzialisierung der Kunst.
London, Dublin, Paris - kurzer Besuch bei Marianne - Rom, Barcelona, Berlin. Nicht zu vergessen all die Städte dazwischen. Die Europatournee war mit zehn Wochen veranschlagt. Danach würde sie das verwirklichen, was ihr seit fast zwei Jahren vorschwebte. Sie würde ihr eigenes Studio eröffnen.
Wo war bloß ihre schwarze Kaschmirjacke? Emma eilte die Treppe hoch und hob im Vorbeigehen Bluse und Schuh auf. Das Gemisch aus Düften faszinierte sie. Terpentin und Opium. Marianne hatte ihr Studio so hinterlassen, wie sie auch darin gelebt hatte: in komplettem Chaos. In allen verfügbaren Gefäßen, vom Mayonnaiseglas bis hin zur Dresdener Vase, steckten Pinsel, Zeichenkohle und kleine Bürsten. Aufgezogene Leinwände lehnten überall an den
Wänden. Drei farbverkleckste Arbeitskittel hingen achtlos über den Stühlen.
Am Fenster stand immer noch Mariannes Staffelei, und daneben ein Becher, dessen Inhalt Emma lieber nicht genauer untersuchen mochte. Kopfschüttelnd wandte sich Emma zum Schlafraum, der eigentlich nur aus einer Nische bestand. Mit den Jahren hatte Mariannes Malerei langsam aber sicher von dem ganzen Raum Besitz ergriffen. Das riesige Bett mit dem Rattankopfteil war zwischen zwei Tische gequetscht. Auf dem einen stand eine Lampe, deren Schirm wie ein Damenhut geformt war, auf dem anderen klebte ein halbes Dutzend heruntergebrannter Kerzen.
Das Bett war ungemacht. Seit sie beide das Saint Catherine^ verlassen hatten, weigerte sich Marianne aus Prinzip, ihr Bett zu machen. Im Schrank entdeckte Emma drei Kleidungsstücke, die sämtlich von ihr stammten. Die schwarze Kaschmirjacke hing zwischen einem roten Lederrock, den sie völlig vergessen hatte, und einem >I love New York<-Sweatshirt. Soviel dazu.
Emma nahm die Sachen an sich, dann setzte sie sich auf Mariannes zerwühltes Bett.
Sie würde die Freundin vermissen. Alles hatten sie miteinander geteilt; Kummer, Freude, Probleme. Zwischen ihnen gab es keine Geheimnisse. Außer einem. Allein der Gedanke daran ließ Emma erschauern.
Sie hatte Marianne nie von dem Zwischenfall mit Blackpool erzählt. Sie hatte überhaupt niemandem davon erzählt. Oft genug hatte sie das vorgehabt, besonders in jener Nacht, in der Marianne in der Gewissheit nach Hause gekommen war, Blackpool würde sie bitten, ihn zu heiraten.
»Sieh mal, was er mir geschenkt hat.« Marianne zeigte ihr ein Diamantherz, das an einer goldenen Kette um ihren Hals hing. »Er hat gesagt, ich soll ihn nicht vergessen, während er in Los Angeles ist und sein neues Album aufnimmt.« Ausgelassen war sie durch die ganze Wohnung gehüpft.
»Hübsch«, zwang sich Emma zu sagen. »Wann muss er denn los?«
»Er ist schon weg. Ich hab' ihn zum Flughafen gebracht.«
Erleichterung überflutete Emma.
»Ich hab' eine halbe Stunde lang im Auto gesessen und geheult wie ein Schoßhund, als er weg war. So ein Blödsinn! Er kommt ja zurück.« Übersprudelnd vor Freude, warf Marianne Emma die Arme um den Hals. »Emma, er wird mich heiraten. Ich bin ganz sicher.«
»Du willst ihn heiraten?« Die Erleichterung verwandelte sich in bleischwere Sorge. Noch immer fühlte sie seine Hände auf ihrem Körper. »Aber Marianne, er ist...«
»Wie er sich von mir verabschiedet hat, wie er mich angesehen hat, als er mir die Kette umlegte... Emma, beinahe hätte ich ihn angebettelt, mich doch mitzunehmen. Aber ich will, dass er mich bittet. Ich weiß, dass er das tun wird.«
Natürlich tat er das nicht.
Marianne hatte jeden Abend förmlich am Telefon geklebt, war Tag für Tag, so schnell sie konnte, nach Hause gehetzt, um auf Nachricht von ihm zu warten. Kein Wort war gekommen.
Nach drei Wochen lieferte ihnen das Fernsehen den ersten Hinweis, warum es sich so verhielt. Blackpool war gefilmt worden, als er, wie üblich in schwarzes Leder gekleidet, eine junge, brünette
Weitere Kostenlose Bücher