Nahe dem wilden Herzen (German Edition)
Und wenn er unter dem Schlaf verrückt wäre? Sie erzitterte. Unwillkürlich bewegte sie die Beine, schob die Laken beiseite, bereit, sich zu verteidigen, zu fliehen … Ja, wenn sie schreien würde, hätte sie keine Angst, die Angst würde mit dem Schrei fliehen … Otávio erwiderte ihre Bewegung seinerseits mit hochgezogenen Augenbrauen, er presste die Lippen zusammen, öffnete sie erneut und lag wieder tot da! Sie betrachtete ihn und betrachtete ihn … wartete …
Nein, er war nicht gefährlich. Sie fuhr sich mit dem Handrücken über die Stirn.
Noch immer herrschte Schweigen, dasselbe Schweigen.
Wer weiß, vielleicht hatte sie einen kurzen Traum gehabt, in den sich die Wirklichkeit gemischt hatte, dachte sie. Sie versuchte sich den vergangenen Tag in Erinnerung zu rufen. Nichts Besonderes, nur Otávios Nachricht, dass er auswärts zu Mittag essen würde, was seit einiger Zeit fast regelmäßig vorkam. Oder war die Angst mehr als eine Halluzination gewesen? Das Zimmer war jetzt klar und kalt. Sie legte sich hin, schloss die Augen. Glücklicherweise hatte sie in den Nächten selten Albträume.
Wie dumm sie gewesen war. Ihre Hand näherte sich ihm, versuchte ihn zu berühren. Sie ließ die Handfläche auf seiner Brust liegen, erst sachte, fast schwebend, dann aber überwand sie sich allmählich. Sie wurde von Augenblick zu Augenblick zutraulicher und ließ sie ganz auf diesem breiten Feld liegen, das von leichter Vegetation bewachsen war. Die Augen geöffnet, ohne zu sehen, die ganze Aufmerksamkeit auf sich selbst gerichtet und auf das, was sie fühlte.
Ein Möbel knackte, die Schatten klammerten sich fester an den Kleiderschrank.
Da kam ihr ein Gedanke. Ein so heißer Gedanke, dass das Herz ihn mit heftigen Schlägen begleitete: Sie näherte sich ihm und schmiegte ihren Kopf vorsichtig in seinen Arm, an seine Brust. Sie blieb still liegen, wartete. Allmählich fühlte sie, wie sich die Wärme des Fremden über den Nacken auf sie übertrug. Sie hörte das rhythmische, ferne, gewichtige Klopfen eines Herzens. Sie horchte aufmerksam in sich hinein. Jenes lebende Wesen gehörte ihr. Jener Unbekannte, jene andere Welt gehörten ihr. Sie sah ihn von ferne, von der Lampe aus, den nackten Körper – verloren und schwach. Schwach. Wie zerbrechlich und zart waren doch die entblößten Linien seines Körpers, schutzlos. Er, er, der Mann. Aus einer dunklen Quelle stieg Angst in ihr auf, füllte alle Zellen und stieß sie hilflos in die Tiefe ihres Bettes. Mein Gott, mein Gott. Dann fühlte sie, schwer atmend, unter schmerzhaften Wehen, wie das weiche Öl der Aufgabe sie durchströmte, endlich, endlich. Er gehörte ihr.
Sie wollte ihn rufen, ihn um Beistand bitten, ihn bitten, er möge ihr etwas Beruhigendes sagen. Aber sie wollte ihn nicht wecken. Sie fürchtete, er würde sie nicht zu einem höheren Gefühl emporheben können, zur Vollendung dessen, was jetzt noch ein zarter Embryo war. Sie wusste, dass sie selbst in diesem Augenblick allein war, dass der Mann aufwachen würde, wieder unnahbar. Dass er ihr mit einem Block – welch ein laues, ungenaues Wort – den schmalen, leuchtenden Weg verstellen könnte, auf dem sie stolpernd ihre ersten Schritte tat. Die Vorstellung jedoch, dass er nicht wusste, was in ihr vorging, verminderte ihre Zärtlichkeit nicht. Sie steigerte sie, machte sie größer als ihren Körper und ihre Seele, wie um die Unnahbarkeit des Mannes auszugleichen.
Joana lächelte, aber sie konnte nicht verhindern, dass das Leid in ihrem ganzen Körper zu pulsieren begann, wie bitterer Durst. Mehr als Leid, ein wachsender, sie beherrschender Wunsch nach Liebe. In einem vagen, schwerelosen Wirbelwind, wie ein plötzlicher Schwindelanfall, wurde ihr die Welt bewusst, ihr eigenes Leben, die Vergangenheit vor ihrer Geburt, die Zukunft jenseits ihres eigenen Körpers. Ja, verloren wie ein Punkt, ein Punkt ohne Ausdehnung, einmal, ein Gedanke. Sie war geboren, sie würde sterben, die Erde – rasch, tief das Gefühl: ein blindes Eintauchen in eine Farbe – rot, heiter und weit wie ein Feld. Das gleiche heftige, plötzliche Bewusstsein, das sie manchmal in den großen Augenblicken der Liebe überfiel wie einen Ertrinkenden, der zum letzten Mal sieht.
»Mein …«, begann sie leise.
Aber alles, was sie hätte sagen können, reichte nicht aus. Sie lebte, lebte. Sie betrachtete ihn. Wie er schlief, wie er existierte. Sie hatte ihn noch nie so sehr gefühlt. Als sie sich in der ersten Zeit ihrer Ehe mit ihm
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