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Nahe dem wilden Herzen (German Edition)

Nahe dem wilden Herzen (German Edition)

Titel: Nahe dem wilden Herzen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clarice Lispector
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Samenballen von Gräsern sich mit roten Rosen und alten, rostigen Büchsen mischten. Unter den blühenden Jasminbüschen würde sie die verblichenen Zeitungen finden und feuchte Pfropfenhölzer. Zwischen den schweren, gealterten Bäumen pickten seit jeher Tauben und Spatzen auf dem Boden herum. Ein Vogel ruhte sich aus von seinem Flug, spazierte umher und verschwand dann im Gebüsch. Die Villa so stolz und sanft in ihren Trümmern. Dort sterben. Zu diesem Haus konnte man nur gelangen, wenn das Ende kam. Auf jener feuchten Erde sterben, die so gut dafür geeignet war, einen Toten aufzunehmen. Aber es war nicht der Tod, nach dem es sie verlangte, sie hatte auch Angst.
    Ein dünner Wasserstrahl lief unaufhörlich die dunkle Wand hinunter. Joana hielt einen Augenblick inne, betrachtete es ausdruckslos, unbeweglich. Auf einem ihrer Spaziergänge hatte sie sich schon neben die kleine, verrostete Gartenpforte gesetzt, das Gesicht gegen das kalte Gitter gepresst und versucht, in den feuchten, dunklen Geruch des Hofes einzutauchen. Jene verschlossene Ruhe, der Duft. Aber das war schon lange her. Jetzt hatte sie sich von der Vergangenheit getrennt.
    Sie lief weiter. Sie spürte die Hitze des Fiebers nicht mehr, das durch die Unterhaltung mit Lídia ausgebrochen war. Sie war blass, und die Übermüdung ließ sie jetzt fast schwerelos erscheinen, ihre Gesichtszüge waren feiner, gereinigt. Von neuem wartete sie auf ein Ende, das Ende, das nie ihre Augenblicke vervollständigte. Darauf, dass etwas Unvermeidliches auf sie heruntergehen würde, sie wollte nachgeben, sich unterwerfen. Manchmal irrten sich ihre Schritte in der Richtung, wurden ihr schwer, die Beine bewegten sich kaum. Aber sie schleppte sich vorwärts, war wachsam, damit sie erst weiter vorne hinfiele. Sie sah auf den Boden, die blonden Gräser, die sich genügsam nach jedem Zertreten wieder aufrichteten.
    Sie hob die Augen und erblickte ihn. Derselbe Mann, der ihr oft gefolgt war, ohne sich ihr jemals zu nähern. Sie hatte ihn schon viele Male in diesen Straßen gesehen, auf ihren Nachmittagsspaziergängen. Es überraschte sie nicht. Irgendetwas müsste irgendwie kommen, das wusste sie. Scharf wie ein Messer. Ja, noch in der letzten Nacht, als sie neben Otávio gelegen hatte, ohne zu wissen, was heute geschehen würde, hatte sie an diesen Mann gedacht. Scharf wie ein Messer … Sie versuchte ihn von weitem auszumachen, und ergriffen von einem leichten Taumel, sah sie ihn sich vervielfältigen in unzählige Gestalten, die zitternd und formlos den Weg einnahmen. Als die Dunkelheit aus ihrem Blick verschwand, war ihre Stirn feucht vor Schweiß, und sie sah ihn deutlich abgehoben wie einen einzigen, ärmlichen Punkt, der auf sie zuging, verloren auf der langen, verlassenen Straße. Bestimmt würde er ihr nur folgen, wie all die anderen Male. Aber sie war erschöpft und blieb stehen.
    Immer näher kam die Gestalt des Mannes, wurde größer, immer mehr fühlte Joana sich im Unvermeidlichen versinken. Noch könnte sie zurückweichen, noch könnte sie sich umdrehen und fortgehen, um ihn zu meiden. Das wäre nicht einmal fliehen, sie spürte die Unaufdringlichkeit des Mannes. Nichts hielt sie dort so unbeweglich zurück, eindeutig darauf wartend, dass er näher kam. Nichts hielt sie zurück, auch nicht die Angst. Selbst wenn der Tod jetzt näher käme, oder die Niedertracht, die Hoffnung oder erneut der Schmerz. Sie hatte einfach angehalten. Die Adern, die sie mit allem Erlebten verbanden, waren durchtrennt, vereint in einem einzigen fernen Block, eine logische Fortsetzung fordernd, aber alt, tot. Nur sie selbst hatte überlebt, atmete noch. Und vor ihr ein neues Feld, noch ohne Farbe, der anbrechende Morgen. Seine Nebel durchqueren, um es zu sehen. Sie könnte jetzt nicht mehr zurückweichen, sie wusste nicht, warum sie zurückweichen sollte. Wenn sie noch zauderte vor dem immer näher kommenden Fremden, dann weil sie sich vor dem Leben fürchtete, das wieder unerbittlich an sie heranrückte. Sie versuchte sich im Zwischenraum festzuhalten, schwebend darin zu existieren, in jener kalten, abstrakten Welt, ohne sich mit dem Blut zu vermischen.
    Er kam. Er hielt einige Schritte vor ihr an. Sie verharrten schweigend. Sie mit starren, großen, müden Augen. Er zitternd, zögernd. Um sie herum bewegten sich die Blätter im Wind, ein Vogel zwitscherte eintönig.
    Das Schweigen zog sich hin in Erwartung dessen, was sie sagen könnten. Aber keiner von beiden entdeckte im anderen den

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