Nahkampf der Giganten
glaubte er zunächst, noch im Fiebertraum zu liegen. Denn da war das weiße Dreieck wieder. Doch als er schärfer hinsah, merkte er, daß es sich weder um eine Phantasiegebilde noch um eine Alptraumszene handelte. Der Leutnant trug einen Arm quer vorm Leib in einem Dreieckstuch, das sich von seiner dunklen Gestalt tatsächlich so hell wie ein kleines Segel abhob.
Als das Schiff langsam zurückschwojte und das Licht nun voll auf des Mannes Antlitz fiel, vergaß Bolitho Fieber und Spannung. Immer noch fehlten ihm die Worte, doch er wußte, daß der andere ähnlich bewegt war.
Endlich brachte er hervor: »Um Gottes willen, sagt mir, daß ich nicht träume!«
Lachend antwortete Allday: »Das ist er, Captain, Lieutenant Thomas Herrick – oder was noch von ihm übrig ist!«
Bolitho zog die Hand aus den Decken und ergriff Herricks Rechte, die dieser ihm entgegenstreckte. »Es tut wirklich gut, Sie zu sehen, Thomas.« Er fühlte den festen, harten Gegendruck, den er von früher kannte.
Ernst blickte Herrick auf ihn herunter. »Und ich kann gar nicht sagen, wie mir zumute ist, Sir.« Er schüttelte den Kopf. »Es ging Ihnen dieser Tage ziemlich schlecht, aber bald wird alles wieder beim alten sein.«
Bolitho konnte die Hand nicht loslassen. »Jetzt wird es bestimmt besser, Thomas.« Das Wiedersehen mit Herrick hatte ihn so mitgenommen, daß er sich plötzlich ganz schlapp fühlte; doch er fragte weiter: »Wo haben Sie gesteckt? Was haben Sie gemacht?«
Allday unterbrach. »Ich glaube, Captain, Sie sollten sich eine Weile ausruhen. Später kann ich Ihnen…«
»Maul halten, verdammt!« krächzte Bolitho. »Oder ich lasse dich auspeitschen!«
Doch Herrick sagte: »Er hat recht, Sir. Liegen Sie schön ruhig, ich erzähle Ihnen schon, was es zu erzählen gibt.«
Bolitho legte sich zurück und schloß die Augen. In dem gleichen gelassenen Ton, den er so gut kannte, begann Herrick seinen Bericht. Sofort hatte Bolitho ihn wieder vor Augen, wie er damals gewesen war: der eigensinnige, idealistische Leutnant an Bord der
Phalarope
in den westindischen Gewässern, und später auf der Fregatte
Tempest
in der weiten Wasserwüste der Südsee. Und vor allem sah er ihn als das, was er in erster Linie war: ein treuer Freund, dem er vertraute.
Herrick hatte sich etwas verändert, war breiter geworden und hatte graue Strähnen im Haar. Aber sein rundes Gesicht strahlte immer noch Zuverlässigkeit aus, und die Augen, die Bolitho jetzt in seiner Koje forschend musterten, leuchteten so blau wie bei ihrem ersten Zusammentreffen.
Gelassen berichtete Herrick: »Als die
Tempest
im Jahr 1791 abgerüstet wurde, hatte ich die feste Absicht zu warten, bis ich wieder unter Ihnen anmustern konnte. Ich nehme an, Sie wußten das.« Er seufzte. »Aber als ich nach Hause, nach Rochester kam, war mein Vater tot, und das Geld reichte gerade zum Überleben. Mein Vater war Schreiber; ihm gehörte nicht einmal das Haus, in dem wir aufgewachsen waren. Und ich war auf Halbsold; da mußte ich nehmen, was ich kriegen konnte. Ich heuerte auf einem Ostindienfahrer an. Früher hatte ich mir geschworen, das niemals zu tun, aber jetzt war es noch ein Glück für mich – große Teile der Kriegsmarine waren abgerüstet, und die Leute lungerten beschäftigungslos an Land herum. Ich dachte, bis ich wieder nach England zurückkam, wären Sie vielleicht gesund. Aber da hatten wir schon Krieg.«
Mühsam warf Bolitho ein: »Ich habe versucht, Sie zu finden, Thomas.« Er öffnete die Augen nicht, me rkte aber, daß Herrick sich aufrichtete.
»Tatsächlich, Sir?«
»In Rochester. Ich habe mit Ihrer Mutter gesprochen und mit Ihrer Schwester, die Sie in all den Jahren unterstützt haben. Ich wußte gar nicht, daß sie gelähmt ist.«
Herrick war tief betroffen. »Sie hat mir nie davon erzählt.«
»Ich hatte sie darum gebeten. Sie waren auf See, und da ich Sie gut genug kenne, dachte ich, Sie würden Ihre sichere Stellung sofort aufgeben, wenn Sie glaubten, ich hätte Ihnen ein Schiff anzubieten. Und das war damals nicht der Fall.«
Wieder seufzte Herrick. »Es waren schwierige Zeiten, Sir. Aber ich bekam eine Stelle auf der
Snipe
und stach mit dem Sträflingskonvoi von Torbay aus in See. In Gibraltar erhielten wir neue Segelorder, und das andere wissen Sie ja.«
Bolitho öffnete die Augen und blickte Herrick aufmerksam ins Gesicht. »Aber Tudor, Ihr Kommandant, war doch in Gibraltar bei mir an Bord. Er wußte, daß ich einen erfahrenen Ersten brauchte. Er muß es
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