Naked - Hemmungslose Spiele (German Edition)
ernst gemeint, Liv.“
„Dass ich mal vorbeikommen soll? Ich weiß.“ Meine Kamera war in diesem Moment eine gute Schranke zwischen uns. Ich wollte Devon nicht enttäuschen, und ich wusste, das würde zwangsläufig passieren. Er verstand nicht, was ich für seine Tochter empfand. Das tat offenbar niemand.
„Es ist nur … Wir sind eine Familie, weißt du? Wir alle. Ich habe vor Jahren meine Eltern verloren, und meine Schwester spricht kein Wort mit mir.“ Weil er schwul war. Das brauchte er nicht explizit zu erwähnen. „Familie ist wichtig. Ich will nicht, dass du denkst, es wäre uns nicht recht, wenn du an ihrem Leben teilnimmst.“
Ich nickte. „Ich weiß, Devon.“
„Fröhliche Weihnachten, Liv.“
„Danke. Das wünsche ich euch auch.“
Er berührte sanft meine Schulter. Dann ging er und schloss leise die Tür hinter sich. Nachdem er gegangen war, setzte ichmich auf meinen Stuhl und öffnete den Ordner mit den Fotos.
Devons Familie verleugnete ihn, seit er siebzehn war. Damals hatten sie herausgefunden, dass er schwul war, und er hatte sich nicht mehr mit seinen Eltern versöhnen können, ehe sie starben. Also hatte er sich seine eigene Familie erschaffen. Er versammelte Freunde um sich, die er liebte und die seine Liebe erwiderten.
Pippa war mein Kind, aber nicht meine Tochter. Steven hatte darum gebeten, dass wir von mir nie als Pippas Mutter redeten und dass ich alle elterlichen Rechte direkt nach ihrer Geburt abtrat. Ich hatte nichts dagegen gehabt. Doch ich hatte nicht mit Devons Familiensinn gerechnet, der die Angelegenheit so viel komplizierter machte.
Ich schaute ein letztes Mal die Fotos von dem kleinen Mädchen und ihren Eltern an. Diese beiden Männer waren ihre echten Eltern. Ja, sie ähnelte mir, und manchmal verhielt sie sich wie ich, und für mich war es ein großes Glück, sie kennen zu dürfen. Aber ich war nicht ihre Mutter und würde es auch nie sein. Entschlossen machte ich den Ordner mit den Fotos zu.
5. KAPITEL
An Weihnachten nahm ich das Foto von Pippa nicht mit zu meinem Vater, um es ihm zu zeigen. Wir sprachen nie über meine Tochter und auch nicht über meine Schwangerschaft, die damals für die meisten Menschen in meinem Umfeld unerwartet kam und nicht gerade erfreut zur Kenntnis genommen wurde. Also brachte ich nur große Tüten mit Geschenken für Cindys und Stacys Kinder mit. Inzwischen waren es vier Nichten und Neffen, mit der Vorsilbe „Stief-“ hatte ich nichts am Hut.
Zum Abendessen gab es einen riesigen Schinken. Wir öffneten die Geschenke. Meine beiden Brüder riefen an, und wir plauderten eine Weile. Fragen über mein Liebesleben blockte ich wie immer ab und gab lieber mit meiner Arbeit an. Natürlich nicht mit den Schichten bei Foto Folks oder den Fotos, die ich in Schulen und für Sportmannschaften machte, sondern mit den Broschüren und Werbeanzeigen, die ich für Geschäftskunden entwarf. Ich genoss die entspannten Stunden mit meiner Familie und hoffte, dass es den anderen mit mir auch so ging.
Über Nacht wollte ich aber nicht bleiben. Ich fuhr die anderthalb Stunden zurück und ließ mich von meinem iPod mit möglichst unweihnachtlichen Liedern beschallen. Kurz nach Mitternacht parkte ich neben Alex’ Bumblebee.
Inzwischen war es über eine Woche her, seit ich ihn gesehen oder gesprochen hatte. Natürlich war er nicht gezwungen, sich bei mir zurückzumelden oder umgekehrt. Tatsächlich gab es keinen wirklichen Grund, irgendwas miteinander zu tun zu haben, solange die Miete pünktlich kam. Aber wir hatten uns gut verstanden, und das vermisste ich. Darum schaute ich auf dem Weg nach oben zu seiner Tür, und als ich den dünnen Lichtstreif darunter sah, atmete ich tief durch und klopfte. Er öffnete nicht, und ich verlor den Mut. Statt noch mal zu klopfen, stieg ich die Treppe hoch und war schon fast in meiner Wohnungverschwunden, als ich seine Stimme hörte.
„Olivia?“
Das Schönste am Skifahren ist der erste Moment, wenn man vom Berg nach unten schaut. Wenn man sich innerlich für die Abfahrt wappnet. Dann Tempo aufnehmen und los. Einfach losfliegen. So fühlte sich dieser Moment an.
„Hallo, Alex. Frohe Weihnachten.“
Er trug Jeans und ein offenes langärmliges Hemd. Sonst nichts. Seine Haare waren zerwühlt, und eine Wange war knittrig. „Frohe Weihnachten. Ich hab gehört, wie du reingekommen bist.“
„Habe ich dich geweckt? Das tut mir leid.“
„Nein, ist schon in Ordnung. Ich lag wohl in einem nachweihnachtlichen
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