Namibische Nächte (German Edition)
hatte, »aber wenn es regnet, muss man sich in Acht nehmen. Dann können sich die Riviere blitzschnell mit Wasser füllen. Das hat schon viele überrascht und sogar das Leben gekostet, die arglos im Rivier gezeltet hatten.«
Vanessa schaute sich um. Nur Sand, das stimmte. Es sah nicht gefährlich aus. Und dass hier Wasser fließen konnte, war kaum vorstellbar.
»Wenn die Riviere laufen«, erläuterte Kian, »verändert sich das ganze Land. Es wird grün und fruchtbar. Sogar Blumen sprießen, und die sind hier bei uns wirklich eine Seltenheit.« Er schaute zum Himmel. »Wir haben leider wenig Regen dieses Jahr. Eigentlich sollte es jetzt schon grün sein. Die Regenzeit beginnt im Oktober.«
»Ist doch schön, wenn es nicht regnet«, bemerkte eine Frau in der ersten Reihe lachend. »Darauf kann ich gut verzichten.«
»Unser Land aber nicht«, entgegnete Kian ernst. »Es hat jetzt monatelang nicht geregnet. Seit April. Wir freuen uns über jeden Tropfen. Wenn es zu wenig Wasser gibt, wächst nichts, und die Tiere verdursten.«
Die Frau schwieg betroffen.
Vanessa musste ihr zustimmen. Das nasskalte Wetter, das sie in Frankfurt zurückgelassen hatte, vermisste sie in keiner Weise. Unter dem Aspekt, dass Tiere verdursten konnten, weil es absolut kein Wasser gab, hatte sie Regen noch nie betrachtet. In Deutschland gab es immer Wasser, eher zu viel. Ja, wenn es im Sommer einmal ein paar Wochen nicht regnete, hörte man von einer Dürrekatastrophe, die Bauern beklagten sich, dass die Ernte vertrocknete. Aber für Städter wie Vanessa war das nur eine Meldung. Sie verband nichts damit.
Sie betrachtete Kians Hinterkopf, als er nun wieder nach vorn schaute, während Johannes weiterfuhr. Der breite Hut verdeckte Kians Haar, aber Vanessa konnte sich an das wunderbare Gefühl erinnern, wenn sie mit ihren Fingern hindurchgefahren war. Wenn Kian sie geküsst hatte . . .
Sie rief sich schnell zur Ordnung. Sieben, sieben, sieben, dachte sie. Die Jahreszahl musste sie sich wohl noch tiefer einprägen. Was vorbei war, war vorbei.
Warum konnte sie ihren Blick dann nur nicht von ihm abwenden? Seinen breiten Schultern, seinen schmalen Hüften, seiner ganzen muskulösen, braungebrannten Gestalt?
Sie riss sich mit Gewalt los und versuchte, in die Landschaft zu schauen, nicht nach vorn. Es gab so viel Interessantes hier zu entdecken, das sollte ablenkend genug sein.
Für eine Weile, als sie nur fuhren, gelang es ihr auch, aber in dem Moment, in dem Kians tiefe, sonore Stimme wieder erklang, ruckte ihr Kopf wie von einem Seil gerissen nach vorn.
»Ein paar Farmarbeiter haben heute Nashörner entdeckt. Wenn wir Glück haben, sind sie noch da. Wir fahren zu der Stelle«, kündigte er an. »Bleiben Sie bitte ganz ruhig. Nashörner können nicht gut sehen. Solange Sie sich nicht bewegen, sind Sie praktisch unsichtbar. Falls Sie einmal in freier Natur einem Nashorn begegnen, sollten Sie das berücksichtigen. Auch bei anderen Tieren ist das angebracht. Der Jagdinstinkt der meisten wird erst geweckt, wenn Sie davonlaufen.« Er schien leicht die Mundwinkel zu verziehen. »Außer die Löwen sind sehr hungrig.«
Die Gäste auf dem Wagen lachten etwas verunsichert. Bisher hatten sie sich wahrscheinlich sicher gefühlt, aber nun kam ihnen zu Bewusstsein, dass es in diesem offenen Gefährt nicht sehr viel Schutz gab, sollten die Löwen tatsächlich hungrig sein.
»Bislang haben wir noch nicht viele Gäste auf diese Art verloren«, fuhr Kian fort, als machte es ihm Spaß, den Touristen Angst einzujagen, »aber einmal haben wir im Magen eines Leoparden eine goldene Uhr gefunden, die er sich bestimmt nicht selbst gekauft hatte.«
Die Leute auf dem Wagen schauderten. Ein paar machten »Uh!« und »Oh!« und rückten näher zueinander.
Vanessa schmunzelte. Kian hatte schon immer solche Geschichten erzählt, und am Anfang hatte Vanessa auch geschaudert. Aber dann hatte er ihr erklärt, dass das alles meistens nicht stimmte. Die Raubtiere in Afrika hielten sich so weit wie möglich von Menschen fern. Solange es genug Beutetiere gab, sah man sie höchstens von weitem und wenn man nach ihnen suchte.
Für Touristen musste Afrika jedoch gefährlich erscheinen. Das war ein Teil der Attraktion. Also erfanden die Tour Guides Geschichten über Geschichten, von denen nur ein Bruchteil auf tatsächlichen Gegebenheiten beruhte.
Wieder schaute Kian nach hinten, und diesmal war Vanessa sicher, dass sein Blick länger auf ihr verharrte.
»Gleich«, Kian
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