Namibische Nächte (German Edition)
irgendetwas über die Treue zu ihrem Mann von sich geben konnte. Das war es sicher, was sie zu diesem Gespräch veranlasst hatte. Sie wollte Kian ganz klar den Platz in ihrem Leben zuweisen. Ein ehemaliger Liebhaber, eine Vergangenheit, an die sie nicht mehr erinnert werden wollte. Er hatte sie letzte Nacht dazu gezwungen, aber auch wenn sie sich kurz darauf eingelassen hatte, sie hatte damit abgeschlossen. Sie hatte geheiratet, und sie liebte ihren Mann. Er hörte die Worte in seinem Kopf, ohne dass Vanessa sie aussprechen musste.
Vielleicht hatten sie sich gestritten. Der Teil des Telefonats, den er unfreiwillig mitgehört hatte, wies darauf hin. Aber das hieß noch lange nicht, dass es aus war.
Im Gegenteil. Dass sie ihren ganzen Urlaub auf der Farm gebucht hatte, deutete eher darauf hin, dass sie nachdenken wollte. Sie war nicht wegen Namibia hergekommen. Nicht, um es zu bereisen und kennenzulernen. Und schon gar nicht seinetwegen. Sie war gekommen, weil sie einen einsamen Platz gesucht hatte, an dem sie niemand stören würde. An dem sie mit sich selbst allein sein konnte.
Und dann hatte sie Kian gesehen. Sie hatte sich eindeutig nicht darüber gefreut. Jede ihrer Begegnungen war ein Paradebeispiel dafür gewesen, wie kühl und abweisend sie sein konnte. Sie wollte Abstand wahren, keine Nähe zulassen.
Wo auch immer sie war, sie dachte an ihren Mann. Sie vermisste ihn. Vielleicht bereute sie schon, so eine große Entfernung zwischen sich und ihn gelegt zu haben. Und dann auch noch von einem ehemaligen Liebhaber, an den sie ewig nicht gedacht hatte, belästigt zu werden.
Ihm liefen Schauer über den Rücken. Was hatte er sich nur dabei gedacht, sie zu küssen? Ja, sie hatte ihn nicht abgewehrt, aber das hieß gar nichts. Vielleicht war er ihr gerade recht gekommen, um einen Vergleich ziehen zu können. Um festzustellen, dass sie mit ihrem Mann die richtige Wahl getroffen hatte.
Sie öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch in diesem Moment preschte ein Toyota Hilux 4x4 auf das Haus zu und bremste erst im letzten Moment. Manche Touristen konnten einfach nicht mit diesen großen Geländewagen umgehen. Sie gerieten ins Schleudern, überschlugen sich. Nun ja, dieser hier hatte es zumindest geschafft, zum Stehen zu kommen.
Ein Mann stieg aus und kam zu ihnen herüber. »Tut mir leid wegen des Staubs«, grinste er. »Hab Sie erst so spät gesehen.«
Kian schaute ihn unbewegt an. »Kann ich etwas für Sie tun?«
»Klar doch!« Der Mann, der fast so groß war wie Kian, wirkte, als wollte er sich gleich auf die Schenkel schlagen. »Ich such ’ne Behausung für ’n paar Tage.«
Kian nickte und wies mit dem Kopf auf das Haus. »Fragen Sie in der Rezeption. Ich glaube, es ist noch etwas frei.«
Der Mann wandte sich von ihm ab und wollte hinübergehen. »Aber hallo!« Plötzlich blieb er stehen und starrte Vanessa an. »Wir kennen uns doch!«
Vanessa stand immer noch mit dem gleichen unbeteiligten Gesichtsausdruck da.
»Vom Flieger!«, dröhnte er weiter. »Wir haben uns in Frankfurt getroffen und sind dann zusammen hierher geflogen.«
»Ich erinnere mich«, sagte Vanessa.
»Na, das ist ja eine Überraschung!« Er schien sehr erfreut zu sein, Vanessa wiederzusehen. »Da müssen wir gleich nachher drauf anstoßen. Dann können wir unseren Rachenputzer ja doch noch nehmen!« Mit einem lauten Lachen ging er zum Haus hinüber.
Vanessa musterte Kian flüchtig. »Hättest du nicht sagen können, dass ihr nichts mehr frei habt?«
»Wenn er hineingegangen wäre und Isolde gefragt hätte, hätte sie ihm sowieso die Wahrheit gesagt. Isolde lügt nicht.«
Vanessa schaute ihn mit einem merkwürdigen Blick an. Dann wandte sie sich ab und ging über den Hof davon.
Was hatte er jetzt wieder falsch gemacht? Immer wieder vermittelte sie ihm das Gefühl. Das war schon in Deutschland so gewesen.
Er warf einen Blick auf das Haus. Sollte er hineingehen und sich den Typ genauer ansehen? Der Mann hatte etwas an sich, das Kian nicht gefiel. Aber das war bei vielen Touristen so.
Er atmete tief durch. Sie waren eben anders, die Leute von drüben. Das hatte er in seiner Zeit in Deutschland zur Genüge kennengelernt. Nicht zuletzt durch Vanessa.
Er rückte seinen Hut zurecht. Es war nicht seine Art, in der Vergangenheit zu schwelgen. In der Tat hatte er das nicht gekannt, bevor er nach Deutschland gegangen und dann wieder zurückgekommen war. Hier in Namibia lebte man in der Gegenwart. Es gab heute genug zu tun, dass man nicht
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