Namibische Nächte (German Edition)
Gartenstühle.
»Bewunderst du unseren Lapa?« Andrea trat aus der Küche.
»Was?« Vanessa runzelte die Stirn.
Andrea wies auf das Grasdach. »Unser Lapa. So etwas hat praktisch jeder hier. Dort trifft man sich zum Braai. Da ist ein großer Grill eingebaut.«
»Braai . . .« Vanessa versuchte sich zu erinnern. Irgendwo hatte sie den Begriff schon einmal gehört.
»Grillen auf Afrikaans«, erklärte Andrea. »Der Volkssport der Buren, der Nachkommen der hier eingewanderten Holländer. Die meisten sind zwar in Südafrika, aber ein paar haben wir in Namibia auch. Aber nicht nur die Buren machen Braai. Sobald es wärmer wird, werden überall die Lapas entstaubt.« Sie wies auf das Dach. »Da es bei uns hier in der Regenzeit am wärmsten ist, brauchen wir dann ab und zu ein Dach über dem Kopf, aber meistens regnet es ohnehin nur ein paar Tropfen.« Sie ging ein paar Schritte und nahm einen kegelförmigen Plastikbehälter aus einer Halterung, hielt ihn hoch und betrachtete ihn prüfend. »Insbesondere dieses Jahr.« Sie steckte den Behälter zurück. »Das ist ein Regenmesser«, beantwortete sie Vanessas unausgesprochene Frage. »Wir freuen uns, wenn viel drin ist.«
Vanessa schüttelte den Kopf. »Wir würden uns freuen, wenn nichts drin ist. Und die meisten Leute halten einen Regenmesser wohl für überflüssig.« Sie verzog das Gesicht.
»Natürlich«, sagte Andrea. »In Europa hätte ich auch nicht gedacht, dass ich je so etwas haben würde. Aber hier hat es jeder. Vor allem die Farmer. Für die ist Regen ja lebenswichtig.«
Das Stichwort Farmer erinnerte Vanessa unvermittelt an Kian. Sie schaute Andrea an, die sofort verstand. Sie nickte. »Wir können losfahren.«
Andrea und Kaunadodo wohnten in einer Art Vorstadt. Sie mussten etwa zwanzig Minuten fahren, bis sie wieder am Krankenhaus angekommen waren. Dabei sah Vanessa, dass es viele Stadtviertel in Windhoek gab, die sehr unterschiedlich aussahen. Es gab Wellblechhütten, aber auch feste Steinhäuser, wie das von Kaunadodo und Andrea. Manche hatten sehr gepflegte Gärten – die Grundstücke waren alle sehr groß –, andere Häuser wieder umgab nur Sand. In einigen Gärten sah sie Swimming Pools.
Die Straßen waren im Großen und Ganzen asphaltiert, wenn auch oftmals von Schlaglöchern zerrissen, um die Andrea geschickt herummanövrierte. Sie kannte sie offenbar gut.
An vielen Ecken wurde gerade gebaut, die Straßen selbst wurden neu geteert, es herrschte ein sehr lebhaftes Treiben. Überall hupte es.
Jedes Mal schaute Vanessa sich erschrocken um.
Andrea lachte. »Das sind nur die Taxis, die Kunden auf sich aufmerksam machen wollen. Es gibt eine Menge Sammeltaxis hier, und alle wollen ein Geschäft machen.«
Jetzt bemerkte Vanessa ein paar gelbe Taxischilder auf den Wagen, und alle trugen große, aufgemalte Nummern.
»Es ist noch gar nicht so lange her, dass sie das eingeführt haben«, erklärte Andrea. »Vorher sahen die Taxis wie jedes andere Auto aus. Aber oftmals werden Taxis für Einbrüche verwendet, und deshalb wollte die Polizei eine weit sichtbare Kennzeichnung, damit man sie dann wiederfinden kann.«
Vanessa runzelte die Stirn. »Einbrüche mit Taxis?«
»Ja, die Taxifahrer fahren die Diebe vors Haus, die steigen dort ein und stehlen alles, was nicht niet- und nagelfest ist, und das Taxi wartet draußen auf sie, um sie und die Beute wegzufahren.«
»Unglaublich.«
»So erscheint es uns, aber hier kann sich eben nicht jeder Dieb ein Auto leisten.« Andrea hob die Augenbrauen. »Die Taxifahrer sind ja auch nur arme Schlucker, die meist nicht viel verdienen. Und der Dieb ist vielleicht ihr Bruder oder Cousin oder ihr Nachbar in Katutura. Das ist das Schwarzenviertel hier.«
Vanessa schaute sie erstaunt an. Sie hatte bisher überall weiße und schwarze Menschen zusammen gesehen, nicht getrennt.
»Das ist noch aus südafrikanischen Zeiten so«, erläuterte Andrea. »Die Südafrikaner wollten auf keinen Fall irgendwelche dunkelhäutigeren Menschen in ihrer Nähe wohnen haben. Nur als Maids , Hausangestellte, oder sogenannte Garden Boys . Wobei ein Garden Boy auch fünfzig Jahre alt sein kann.« Sie wies mit dem Kopf nach draußen. »Deshalb wurden alle Menschen, die nicht weiß waren und in der Nähe der Stadt lebten, in den Fünfzigerjahren von den Buren nach Katutura umgesiedelt, ob sie wollten oder nicht. Die Stadt selbst und die stadtnahen Gebiete wollten die Weißen für sich.« Sie fuhr auf einen Parkplatz. »Seit 1990 hat sich das
Weitere Kostenlose Bücher