Nana
einstudiert. Eben war der erste Akt durchgenommen und man sollte den zweiten beginnen. Im Proszenium saßen Bordenave und Fauchery in alten Sesseln und besprachen sich über das Stück, während der Souffleur, Vater Cossard, ein kleiner, buckeliger Greis, mit einem Bleistift zwischen den Zähnen auf einem schlechten Strohsessel saß und in dem Manuskript blätterte.
Auf was wartet man denn noch? schrie Bordenave, mit seinem dicken Stock auf die Bretter schlagend, Barillot, warum wird denn nicht angefangen?
Herr Bosc ist verschwunden, erwiderte Barillot, der als zweiter Regisseur fungierte.
Da gab's einen Sturm; alles rief nach Bosc. Bordenave fluchte.
Herrgott, es ist doch immer die gleiche Schlamperei. Man klingelt diesen Leuten lange umsonst; sie sind immer, wo sie nicht sein sollten. Dann brummen sie, wenn sie bis vier Uhr bleiben müssen.
Da erschien Bosc mit vollkommener Ruhe.
He, was will man denn von mir? Bin ich an der Reihe? Das hätte man mir sagen sollen ... Gut; Simonne, gib das Stichwort: Da kommen unsere Gäste – und ich werde eintreten ... Wo muß ich denn eintreten?
Natürlich durch die Tür! rief Fauchery verdrossen.
Ja, wo ist denn die Tür?
Da ereiferte sich Bordenave wieder über Barillot. Er fluchte und schlug mit dem Stock aus Leibeskräften gegen die Planken der Bühne.
Zum Teufel. Habe ich denn nicht gesagt, daß man einen Sessel herstellen soll, um die Tür zu bezeichnen? Jeden Tag muß ich von vorne beginnen? Barillot ... Wo ist der wieder hingeraten?
Barillot brachte dienstfertig selber den Sessel, und die Probe nahm ihren Fortgang. Simonne, im Pelz und mit dem Hut auf dem Kopfe, tat, als ob sie mit dem Aufräumen des Zimmers beschäftigt sei.
Sie unterbrach sich dabei, um halblaut zu sagen:
Mir ist kühl, darum werde ich die Hände im Muff behalten.
Dann änderte sie die Stimmung und empfing Bosc mit einem Rufe der Überraschung:
Ah, der Herr Graf! Sie sind der erste, Herr Graf; Madame wird sehr erfreut sein.
Bosc trug ein schmutziges Beinkleid, einen großen, gelben Überzieher und ein ungeheures Tuch um den Hals. Auf dem Kopfe saß ein alter Hut; die Hände steckten in den Taschen. Er sagte mit dumpfer, gedehnter Stimme ohne jedes Gebärdenspiel:
Störe deine Herrin nicht weiter, Isabella; ich will sie überraschen.
Die Probe dauerte fort.
Bordenave lehnte sich in seinem Sessel zurück und hörte mit mürrischer Miene zu.
Fauchery war nervös, wechselte fortwährend den Platz und unterbrach jeden Augenblick die Probe mit seinen Bemerkungen. In dem stillen, dunklen Saale hinter ihm hörte man ein Geflüster.
Ist sie vielleicht hier? fragte er und wandte sich an Bordenave.
Dieser nickte bejahend mit dem Kopfe.
Nana wollte, bevor sie die Rolle Geraldines übernahm, die er ihr angeboten, das Stück sehen; denn sie nahm Anstoß, wieder eine Kokottenrolle zu übernehmen. Nach der Rolle einer ehrbaren Frau trug sie Verlangen. Sie saß im Schatten einer Loge versteckt mit Labordette, der sich für sie bei Bordenave ins Mittel gelegt hatte.
Fauchery suchte sie flüchtig einen Augenblick und folgte dann der Probe. Nur die Vorbühne war beleuchtet. Eine einzige Gasflamme brannte, die sich in dem Halbdunkel wie ein großes gelbes Auge ausnahm. Vater Cossard hob das Manuskript gegen die Gasflamme, um besser zu sehen. Ein Teil des Lichtschein fiel auch noch auf Bordenave und Fauchery, während die Schauspieler im Dunkel der Bühne wie Schatten sich hin und her bewegten. Im Hintergrunde waren Leitern, Kulissen und all das Gerümpel einer Bühne aufgehäuft; die aufgerollten Dekorationen in der Höhe nahmen sich aus wie alte Wäsche, die in einem Speicher zum Trocknen ausgehängt wird. Durch die Decke fiel zuweilen von außen ein Sonnenstrahl herein, der einen Augenblick die Bühne wie durch eine goldene Schranke zu teilen schien.
Im Hintergrunde der Szene plauderten einzelne Schauspieler, die ihr Stichwort erwarteten. Allmählich war ihr Gespräch lauter geworden.
Wollt ihr schweigen, heulte Bordenave und sprang wütend von seinem Sessel auf. Ich höre kein Wort. Geht hinaus, wenn ihr zu reden habt. Wir haben hier zu tun ... Barillot, wenn wieder geredet wird, kriegen alle Gagenabzug.
Sie schwiegen einen Augenblick und nahmen auf einem Bänkchen und mehreren Gartensesseln Platz. Die erste Dekoration des Abends stellte einen Garten vor.
Fontan und Prullière ließen sich von Rosa Mignon erzählen, daß der Direktor des Possentheaters ihr einen großartigen Anstellungsantrag
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