Nana
Auskleiden behilflich und zeigte sich als zuvorkommende und ergebene Zofe. Sie wiederholte schelmisch:
Gehen wir rasch schlafen, mein Kätzchen. Im Bett wird's besser sein ... Ach wie dumm von dir, daß du dir Kummer machst ... Ich sage dir, das sind Schweinekerle. Denke nicht mehr an sie ... Siehst du; ich liebe dich wahrhaft ... Weine nicht; tu es mir, deiner lieben Kleinen, zu Liebe.
Im Bett nahm sie sofort Nana in ihre Arme, um sie zu besänftigen. Sie wollte von Fontan nicht mehr hören. Sooft sein Name auf Nanas Lippen kam, unterdrückte sie ihn mit einem Kuß, einer Schmollmiene, die ihr allerliebst stand, der kleinen Satin, die mit ihrem aufgelösten Haar in kindlicher Schönheit und voll Zärtlichkeit an der Seite ihrer Freundin lag. In dieser süßen Umschlingung trocknete Nana allmählich ihre Tränen. Sie war gerührt und erwiderte Satins Liebkosungen. Um zwei Uhr nach Mitternacht brannte die Kerze noch; die Mädchen kicherten leise und tauschten Liebesworte aus.
Plötzlich entstand lauter Lärm im Hause. Satin erhob sich, halbnackt wie sie war, und lauschte.
Die Polizei! sagte sie erbleichend. Wir sind geliefert!
Sie hatte oft genug von den nächtlichen Besuchen erzählt, die die Polizei in den Hotels macht; aber gerade diese Nacht, wo sie mit Nana notgedrungen hier Zuflucht suchte, hatte sie auf eine solche Überrumpelung nicht gerechnet. Bei dem Worte »Polizei« verlor Nana den Kopf. Sie sprang aus dem Bette und öffnete das Fenster mit der verstörten Miene einer Wahnsinnigen, die sich hinausstürzen will.
Glücklicherweise war der kleine Hof mit einem Glasdache versehen; draußen lief ein Gitter von geflochtenem Draht ringsumher. Sie zögerte keinen Augenblick, stieg auf das Fensterbrett und verschwand, mit fliegendem Hemde, die nackten Schenkel der Nachtluft aussetzend, draußen im Dunkel der Nacht.
Bleib! rief Satin entsetzt. Du wirst dich töten.
Da wurde an die Türe gepocht. Satin eilte zum Fenster und schloß dasselbe, dann warf sie die Kleider ihrer Freundin in einen Schrein. Sie hatte sich mit dem Schicksal, das ihrer harrte, rasch abgefunden. Wenn ich auf die Liste gesetzt werde – dachte sie – werde ich wenigstens Ruhe haben. Sie begann laut zu gähnen, unterhandelte eine Weile und öffnete dann ruhig die Tür.
Ein langer Mensch mit schmutzigem Barte trat ein.
Zeigen Sie Ihre Hände, sagte er. Ihre Hände sind nicht zerstochen; Sie arbeiten also nichts ... Kommen Sie mit mir.
Ich bin keine Näherin, ich bin Bandfärberin, erklärte Satin schamlos.
Dabei kleidete sie sich ruhig an, denn sie wußte, daß jede Auseinandersetzung unnütz war.
Im Hause wurde lautes Wehgeschrei vernehmbar; ein Mädchen klammerte sich an die Türen und wollte nicht mitgehen. Eine andere, die mit ihrem Geliebten schlief, der sie in Schutz nahm, spielte die entrüstet ehrbare Frau und drohte, dem Polizeipräfekten einen Prozeß anzuhängen. Eine volle Stunde dauerte der Lärm, das Getrappel auf den Treppen, das Geschrei der Weiber. Ein ganzer Trupp Frauenzimmer wurde von drei Agenten fortgeführt, an deren Spitze ein Kommissar stand, ein blondes, sehr höfliches Männchen.
Dann war wieder alles still.
Nana war gerettet; niemand hatte sie verraten. Sie kehrte tastend und vor Kälte zitternd in das Zimmer zurück. Ihre Füße bluteten, zerrissen von dem scharfen Drahtgitter. Sie saß lange am Rande des Bettes und lauschte. Gegen Tagesanbruch schlief sie ein. Um acht Uhr erwachte sie, kleidete sich rasch an und verließ eiligst das Haus. Sie begab sich zu ihrer Tante. Als die Lerat, die eben in Gesellschaft Zoés ihren Milchkaffee nahm, sie in so früher Morgenstunde mit verstörter Miene, nachlässig gekleidet, eintreten sah, erriet sie sofort die Sachlage.
Aha, rief sie, sind wir soweit. Ich sagte dir doch, daß er dir die Haut über die Ohren ziehen werde. Komm nur, du wirst bei mir stets gut aufgenommen sein.
Zoé hatte sich erhoben und sagte respektvollen Tones:
Endlich ist Madame uns wiedergegeben ... Ich erwartete Madame.
Die Lerat wollte, daß Nana vor allem Ludwig sehe. Sie sagte, die Klugheit der Mutter sei für das Kind das größte Glück. Der Kleine, kränklich und blutarm, schlief noch. Nana neigte sich über sein bleiches, krankes Gesicht und schluchzte:
Mein Kind, mein armes Kind.
Alle Torheiten der letzten Zeit tauchten in diesem Augenblicke in ihrer Erinnerung auf und schnürten ihr die Kehle zusammen.
Neuntes Kapitel.
Im Varietétheater wurde »Die kleine Herzogin«
Weitere Kostenlose Bücher