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Nana

Titel: Nana Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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er kein Geheimnis zu bewahren wußte, sprach er mit Nana bald von nichts anderem, als von seinem Bruder, den er als einen großen, jedes Wagnisses fähigen Jungen schilderte.
    Du begreifst, sagte er, daß Mama nicht selbst zu dir kommen wird, da sie Philipp hat, um ihn hierherzusenden. Und sie wird ihn hierhersenden, um mich zu suchen.
    Anfangs schien Nana sehr erzürnt über diese Drohung.
    Das möchte ich doch sehen! sagte sie. Dein Bruder mag Leutnant sein; das wird Franz nicht hindern, ihn hinauszuwerfen.
    Da der Kleine immer wieder auf Philipp zu sprechen kam, begann sie für letzteren sich zu interessieren.
    Nach Verlauf einer Woche kannte sie ihn vollständig, vom Kopf bis zum Fuß: sehr groß, sehr stark, von heiterem Wesen, etwas keck. Dazu kamen intime Einzelheiten, Haare auf den Armen, ein Muttermal auf der Schulter. Das ging so weit, daß sie eines Tages, im Geiste stets beschäftigt mit diesem Manne, den sie hinauszuwerfen gedroht hatte, ausrief:
    Nun, Zizi, wo bleibt denn dein Bruder? Scheint ein »Traunichtrecht« zu sein.
    Am folgenden Tage, Georges befand sich eben allein mit Nana, kam Franz und fragte Madame, ob sie den Leutnant Hugon empfangen wolle.
    Georges erbleichte und murmelte:
    Ich ahnte es. Mama hat heute morgen davon gesprochen.

    Er bat Nana, sie möge sagen lassen, daß sie ihn nicht empfangen könne. Doch sie hatte sich bereits erhoben und sagte, rot vor Aufregung:
    Warum denn? Er würde glauben, daß ich mich fürchte. Warte nur, wir werden lachen ... Franz, lassen Sie den Herrn eine Viertelstunde im Salon warten, dann führen Sie ihn herein.
    Sie nahm nicht wieder Platz, sondern ging in fieberhafter Erregung auf und ab, von dem Kaminspiegel bis zu dem venetianischen Spiegel, der gegenüber hing. Jedesmal warf sie einen Blick hinein, versuchte ein Lächeln, während Georges, kraftlos auf einem Sofa hingestreckt, bei dem Gedanken an die bevorstehende Szene zitterte. Bei dem Gange durch das Zimmer ließ Nana kurze, abgebrochene Sätze fallen.
    Das wird ihn besänftigen, den jungen Mann, wenn er eine Viertelstunde wartet. Wenn er übrigens glaubt, zu einer Dirne zu kommen, so wird ihn mein Salon eines Besseren belehren. Ja, ja! schau dich gut um, mein Männchen! ... Das ist nicht von Blech; du sollst lernen, eine Bürgerin zu achten ... Nur durch Respekt sind die Männer zu regieren. Nun, ist die Viertelstunde vorbei? Nein, kaum zehn Minuten ... Gut, wir können warten ...
    Sie hatte keine Ruhe auf einem Platze. Als die Viertelstunde um war, schickte sie Georges weg, nachdem sie ihm schwören ließ, nicht hinter der Türe zu lauschen, was sehr unschicklich wäre, wenn die Dienstleute es sähen.
    Ehe er ging, wandte er sich noch einmal um und sagte mit stockender Stimme:
    Denk daran, es ist mein Bruder ...
    Sei unbesorgt, sagte sie würdevoll. Wenn er artig ist, werde auch ich es sein.
    Franz führte Philipp Hugon herein, der im Waffenrock war. Georges, um Nanas Wunsche zu entsprechen, schlich zuerst auf den Fußspitzen durch ihr Zimmer. Aber die Stimmen, die er jetzt vernahm, hielten ihn zurück; zögernd, angstvoll, mit schlotternden Beinen blieb er stehen. Er dachte an eine Katastrophe, an Ohrfeigen, an etwas Entsetzliches, was ihn für immer von Nana trennen werde. Er konnte daher dem Drange nicht widerstehen, sein Ohr an die Türe zu legen. Er hörte nur sehr undeutlich; die dicken Vorhänge erstickten jedes Geräusch. Indes schlugen einige von Philipp gesprochene Worte an sein Ohr. Es waren harte Ausdrücke; er hörte die Worte »Kind« – »Familie« – »Ehre« heraus. Die Angst darüber, was seine Geliebte auf alles das erwidern werde, ließ sein Herz stürmischer pochen. Sicherlich werde sie ihm ein »Schmutziges Schwein« zuschleudern, oder »Lassen sie mich in Ruhe, ich bin bei mir zu Hause«. Doch nichts dergleichen kam; nicht ein Hauch. Nana war still wie eine Tote. Bald war auch die Stimme seines Bruders sanfter. Er begriff nichts mehr davon; er hörte ein Geräusch, das vollends geeignet war, ihn zu befremden: Nana schluchzte. Einen Augenblick war er die Beute widerstreitender Gedanken: Sollte er fliehen oder sich auf Philipp stürzen? Da wurde die Tür geöffnet, und Zoé trat ein; er entfernte sich rasch von der Tür des Salons, aus Scham darüber, daß er beim Horchen ertappt worden war.
    Zoé ordnete Wäsche in einem Schranke; inzwischen stand er, von der Ungewißheit verzehrt, stumm an ein Fenster gelehnt.
    Nach kurzem Stillschweigen fragte Zoé:
    Ist das Ihr Bruder,

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