Nana
auf ein Sofa neben dem Fenster aus, wo sie ihre großen Augen starr auf Nana gerichtet, schweigsam wie tot verharrte.
Die Herren entschieden sich endlich gegen die neuen strafgesetzlichen Grundsätze; mit dieser netten Erfindung von der Unzurechnungsfähigkeit in gewissen krankhaften Fällen werde man dahin gelangen, daß es gar keine Verbrecher, nur lauter Kranke gebe. Nana, die diesen Erörterungen mit Kopfnicken zustimmte, dachte inzwischen darüber nach, wie sie den Grafen verabschieden könne. Die anderen würden ja ohnehin gehen, nur er würde bleiben wollen. In der Tat erhob sich Philipp, um sich zurückzuziehen, und Georges folgte ihm bald. Ihn quälte nur der Gedanke, seinen Bruder in der Nähe Nanas zu lassen. Vandeuvres blieb noch einige Minuten. Er wollte sehen, ob nicht irgendein dringendes Geschäft den Grafen Muffat abberufe, daß er ihm den Platz überlassen müsse; als er sah, daß Muffat sich einrichtete zu bleiben, gab er seinen Plan auf und nahm als Mann von Takt Abschied. Im Begriff hinauszugehen, bemerkte er Satin, die noch immer mit ihrem starren Blick dalag. Er begriff die Lage und sagte, ihr die Hände reichend:
Wir sind doch nicht böse, du verzeihst mir, du bist noch am meisten schick. Auf Ehrenwort!
Satin würdigte ihn keiner Antwort, sie wandte kein Auge von Nana und dem Grafen, die jetzt allein waren. Da er sich keinen Zwang aufzuerlegen brauchte, nahm Muffat an der Seite Nanas Platz, ergriff ihre Finger, die er zärtlich küßte. Nana suchte einen Übergang und fragte den Grafen, ob es der Gräfin Estella schon besser gehe. Er hatte sich tags vorher über die Traurigkeit seiner Tochter beklagt; er habe keinen frohen Tag mehr im Kreise seiner Familie. Die Gattin sei stets außer dem Hause, die Tochter verharre in eisigem Stillschweigen. Nana hatte für solche Familiensorgen stets die besten Ratschläge zur Hand.
Wie wäre es denn, wenn du sie verheiraten wolltest? sagte sie, indem sie sich des Versprechens erinnerte, das sie Daguenet gegeben.
Sie nahm auch keinen Anstand, Daguenets Namen sofort zu nennen. Der Graf fuhr entrüstet auf. Niemals, meinte er, werde er seine Einwilligung dazu geben, nach allem, was sie ihm über diesen Mann gesagt habe. Sie tat erstaunt, dann lachte sie und sagte, ihren Arm um seinen Nacken legend:
Oh, der liebe Eifersüchtige, man sollte es kaum glauben; so denke doch ein wenig nach. Man hat dir Schlechtes von mir erzählt, ich war wütend ... Heute aber ist es anders; ich wäre untröstlich ...
Über die Schulter Muffats hinweg begegnete sie den Blicken Satins; sie wurde unruhig, ließ ihn los und fuhr in ernstem Tone fort:
Mein Freund, diese Heirat muß stattfinden, ich will das Glück deiner Tochter nicht hindern; der junge Mann ist vortrefflich. Du kannst keinen Besseren finden.
Und sie erging sich in langen Lobeserhebungen über Daguenet. Der Graf hatte ihre Hand wieder ergriffen; er sagte nicht nein; er werde sehen, man werde auf den Gegenstand doch zurückkommen können. Dann sprach er davon, daß sie zu Bette gehen sollten; sie dämpfte die Stimme und meinte, es sei heute unmöglich, sie sei unwohl, und wenn er sie nur ein wenig liebe, so werde er heute nicht auf seinem Wunsche bestehen. Er war jedoch eigensinnig und weigerte sich zu gehen; schon war sie auf dem Punkte nachzugeben, als sie von neuem dem Blicke Satins begegnete. Da war sie unbeugsam. Nein, es sei nicht möglich. Der Graf erhob sich sehr erregt, sehr leidend und nahm seinen Hut. An der Tür erinnerte er sich des Saphirschmuckes, dessen Etui er in seiner Tasche fühlte. Er hatte die Absicht, den Schmuck im Bette zu verstecken; dort würde sie ihn mit ihren Füßen finden, sobald sie sich niedergelegt, und das wäre eine große, freudige Überraschung, an die er schon während des Essens gedacht hatte.
Jetzt aber reichte er in seiner Verwirrung, in seiner Beklemmung über die unvermutete Entlassung ihr plötzlich den Schmuck hin.
Ei, was ist denn das? fragte sie; schau, der Saphirschmuck! Ach ja, wie lieb du bist! Sag, mein Lieber, ist das auch derselbe? Der Schmuck scheint in der Auslage mehr gewirkt zu haben ...
Das war ihr ganzer Dank, dann ließ sie ihn ziehen. Er hatte Satin in stiller Erwartung auf den Diwan hingestreckt gesehen; dann hatte er die beiden Frauen betrachtet und war unterwürfig gegangen. Noch hatte die Tür des Vorraumes sich nicht geschlossen, als Satin in ausgelassener Lustigkeit aufsprang, Nana um die Taille faßte und sang und tanzte. Dann lief sie zum
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